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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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sie Vieh auf dem Markt, während er überlegte, ob sie ihren Preis wert waren.

FUNDAMENTUM
    SOMMER 1251
     
    »Wenn der Herr fehlt, werden die Hunde zu Wölfen.«
    Äbtissin Lucardis

1.
PAPINBERC
     

     
    Das erste beunruhigende Zeichen, das Elsbeth sah, als sie nach vier Monaten nach Papinberc zurückkehrte, war die Familie, die von den Wachen am Westtor aufgehalten wurde. Das Fehlen einer Stadtmauer ließ Papinberc einladend und offen wirken; selbst in der engen Gasse zwischen den Wirtschaftsgebäuden des Jakobsstifts, die den Torturm flankierten, fühlte sich der Ankömmling eher beschützt als abgewiesen. Ein Teil des Torbaus enthielt eine Kapelle, die der Heiligen Jungfrau und Johannes dem Täufer gewidmet war. Alles in allem hatte man den Eindruck einer friedlichen, freundlichen Stadt.
    Die Zeiten schienen sich geändert zu haben.
    Der Familie – Vater, Mutter, drei Kinder, eine halbe Handvoll Bediensteter – stand die Angst in die Gesichter geschrieben. Ihr Anblick weckte in Elsbeth die Erinnerung an Colnaburg, eine Erinnerung, die stets nur allzu dicht unter der Oberfläche lag und niemals schlummerte, im Guten nicht und nicht im Bösen. Dies war eine der bösen Situationen.
    Dass die Leute wohlhabend waren, konnte man an ihrem Aussehen erkennen. Dass es ihnen nichts nützte, lag an ihrer Religion.
    Eine der Torwachen holte aus und schlug dem Mann den Hut vom Kopf. Er war schwarz und rund, mit einer hohen Hutkrone und einer gestickten Borte dort, wo die Krempe gewesen wäre, und er rollte in einen Haufen Pferdemist.
    »Wo is’n der gelbe Judenhut, hä?«, rief die Wache. »Wo isser’n, hä?«
    Einer seiner Kameraden begrabschte den Mantel eines der Kinder, eines jungen Mädchens von zehn oder elf Jahren. Er tat es so, dass er sie möglichst oft an der Brust berührte. Das Mädchen wimmerte und zuckte bei jeder Berührung zusammen. Der Wächter gab sich freundlich-besorgt; der Hohn hing ihm meilenweit aus den Augen heraus. »Der muss doch irgendwo sein, Täubchen, hm? Der muss doch wo sein. Wo hast’n den Judenfleck, Täubchen? Hast’n verloren, hm?«
    »Lasst meine Tochter in Ruhe!«, rief die Mutter.
    Der Wächter wandte sich ihr zu. Sie war eine füllige Frau mit ausgeprägten weiblichen Rundungen. Der Wächter streckte die Arme nach ihr aus, als wolle er ihr in den Ausschnitt greifen. »Wo is’n dein Judenfleck, Gnädigste?«, grölte er.
    Die Kinder drängten sich aneinander. Der Vater bückte sich nach seinem Hut. Der Wächter trat darauf und stampfte ihn in den Pferdemist. »Hoppla«, sagte er.
    Reinhild, die Elsbeth von Wizinsten hierher begleitet hatte, spannte sich. Elsbeth hielt sie am Arm fest. »Nicht«, sagte sie.
    »Aber die Männer schikanieren diese Familie!«
    »Sie werden sie auch schikanieren, wenn du sie zur Rede stellst.«
    »Heißt das, du willst nicht eingreifen?«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    Elsbeth sah sich um. Ein kleines Grüppchen Neugieriger betrachtete die Szene. Ihren Gesichtern war nicht anzumerken, was sie sich dachten. Die meisten Menschen gingen vorüber, ohne herzusehen. Es war eigentlich nicht anders als sonst – nur selten mischte sich jemand ein, wenn ein anderer in Schwierigkeiten geriet. Und doch … es schien, dass die Vorübergehenden sich eher abwandten als sonst und schneller vorbeigingen, und dass die Schultern der Gaffer verkrampft und ihre Körper angespannt waren, als würden sie damit rechnen, jeden Moment fliehen zu müssen.
    »Was ist hier geschehen, während wir weg waren?«, flüsterte Elsbeth. »Was meinen die Kerle mit ›Judenfleck‹?«
    Der Wächter hatte mittlerweile den Hut selbst aufgehoben und drückte ihn dem Vater auf den Kopf. Der Pferdemist quoll ihm zwischen den Haaren hervor und fiel ihm auf die Schultern. Der Wächter trat zurück und begutachtete sein Werk wie ein Hutmacher, der eben seinem Kunden die neueste Kreation angepasst hat.
    Elsbeth fand, was sie gesucht hatte: einen blinden Bettler an einer Hausecke. Der Bettler hatte eine Holzschüssel vor sich stehen, in der ein paar Münzen lagen, und wiegte den Oberkörper vor und zurück. Sie trat vor ihn hin. Der Bettler hob das Gesicht mit der schmutzigen Binde über den Augen ungefähr in ihre Richtung.
    »Almosen«, murmelte er. »Almosen, ihr guten Leute …«
    Elsbeth bückte sich nach der Schüssel. »Sehr großzügig«, sagte sie. »Ich nehme sie.«
    Sie wandte sich um und begann zu laufen. Hinter sich hörte sie den Bettler aufspringen. »He, was soll denn …

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