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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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ein Segen, dass sie nun ein Zisterzienserinnenkloster beherbergt.«
    »Hoffen wir, dass die Stadt das auch so versteht«, brummte Reinhild.
    Nach dem Rathaus verlief eine Gasse in einer weiten Rechtskurve zwischen den Hausfassaden. Fast alle Häuser waren groß und besaßen im ersten Geschoss überkragende Fassaden. Das eine oder andere wies Steine zwischen den Fachwerkbalken auf, aber die meisten füllten die Wände zwischen dem Fachwerk mit Weidengeflecht, auf dem Lehm und Putz verschmiert waren. Die Gasse war an etlichen Stellen mit unregelmäßigen Steinen gepflastert; dort, wo die Kurve ihren weiteren Verlauf hinter den Fassaden verbarg, waren die beiden Türme des Klosterareals zu sehen.
    In der Gasse hielten sich hauptsächlich Frauen und Kinder auf. Sie stellten Arbeit und Spiel ein und gafften die Schwestern an. Bei einigen Häusern lehnten sich Oberkörper aus den Fensteröffnungen. Elsbeth nickte einem Mann zu, der direkt neben ihr aus der Tür seines Hauses trat. Der Mann starrte nur wortlos. Der Gassenboden war schlüpfrig und schlammig dort, wo keine Steine lagen; wo sich Pflaster befand, knallten die Schritte der Schwestern in die Stille und echoten von den Hauswänden.
    »Adelheid, hör auf, dir auf die Lippe zu beißen!«, zischte Elsbeth. »Man könnte ja meinen, du wärst nervös!«
    Zwischen den Fassaden öffnete sich da und dort eine Seitengasse wie ein dunkler Tunnel. Wo sie nach unten führten, konnte Elsbeth, eingerahmt von den schattenschwarzen Gassenwänden, die Wasseroberfläche des Fischteichs sehen, die Flanke der Kirche, die Holzpalisade, niedrige, geduckte Häuser mit Schilfdächern. Die Gassen, die nach oben wiesen, zeigten auf weitere Hausfassaden. Der Klang eines Schmiedehammers ertönte von ihnen her und die Geräusche anderer Werkstätten. Offenbar besaß die Stadt drei Hauptgassen, die halbwegs parallel die Länge ihres ovalen Grundrisses durchmaßen, die dunklen Seitengassen verbanden sie in einem unregelmäßigen Rechteckmuster.
    Als sie weitergingen, spürte Elsbeth, dass die Menschen ihnen mit einigem Abstand folgten.
    »Keine dreht sich um«, sagte sie halblaut.
    Um die Kurve herum erweiterte sich die Gasse und lief mit den beiden anderen Gassen zusammen. Ein Platz entstand dadurch, nicht unähnlich dem, der sich direkt hinter dem Rathaus eröffnet hatte. Jenseits des Platzes ragte eine Mauer knapp zwei Mannshöhen auf – die Klostermauer. Sie verstärkte noch die Gewissheit, dass dies hier einmal eine Burg gewesen war. Der Platz senkte sich zur Mauer hin ab – hier musste der Burggraben gewesen sein, vor langer Zeit zugeschüttet. Mitten auf dem Platz erhob sich das gemauerte Rund eines Ziehbrunnens mit dem üblichen Holzschindeldach darüber. Eine Öffnung in der ehemaligen Burgmauer war nicht mehr als das: ein Loch in der Konstruktion, dem alles fehlte, was man als Torflügel hätte bezeichnen können. Dahinter wucherte kahles Gestrüpp. Ein hohes, steinernes Kruzifix neben dem kurzen Weg zum Klosterbau war halb umgesunken, halb von wildem Wein überwuchert. Aus der Nähe besehen wirkten die Moosstreifen am Klosterbau wie schorfige Wunden. Das Dach des Klosterturms war so leck, dass man die Dachsparren sehen und auf der anderen Seite den Himmel erblicken konnte. Der Klosterbau besaß eine Tür. Sie stand weit offen. Dahinter lag Finsternis.
    Du wolltest in die Einsamkeit gehen wie Robert de Molesme? , dachte sie. Und dachte gleich darauf: Ja, aber ich habe sie mir nicht so einsam vorgestellt!
    Sie hörte, wie sich der Kehle eines ihrer Schützlinge ein kleiner, mutloser Laut entrang.
    »Ruhe!«, sagte sie scharf.
    Sie drehte sich um. Die Menschen, die ihnen stumm gefolgt waren, hatten sich am Ausgang der Gasse zusammengedrängt und beobachteten das kleine Häuflein grauer, plötzlich verängstigter Nonnen mit ausdruckslosen Gesichtern. Elsbeth hob eine Hand, um das Kreuz zu schlagen. Niemand beugte das Haupt. In der Stille hörte sie immer noch das Klingen des Schmiedehammers aus der oberen Gasse und, doppelt so laut, ihren eigenen Herzschlag. Sie konnte den Blicken der Menge nicht mehr standhalten und wandte sich ab. Die Sonne kam wieder hinter den Wolken hervor, doch Elsbeth und ihre Schützlinge standen im Schatten der Mauer und spürten keine Wärme. Die Sonnenstrahlen beleuchteten, was der Wolkenschatten vorher verhüllt hatte: wie heruntergekommen der Klosterbau in Wahrheit war, wie verwahrlost der Garten, wie verkrustet von jahrealtem Vogelkot das steinerne

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