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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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das Zirpen der Grillen. Diese hatten kurz innegehalten, als Elsbeth auf die Wurzelballen gestiegen war; jetzt schrillten sie wieder los. In den Ästen der Obstbäume saßen Raben und taten sich sowohl an den Insekten als auch an den fauligen Früchten gütlich. Ihr Flügelschlagen klang metallisch und überlaut.
    »Da vorn hat ein Johannesfeuer gebrannt«, sagte Reinhild, die bis zur nächsten Straßenbiegung weitergegangen war. Elsbeth holte auf und betrachtete den schwarzen Haufen Balken, der in sich zusammengesunken war. Das Feuer hatte den Bodenbewuchs in weitem Umkreis niedergebrannt, zwischen der Asche spitzte das neue Gras bereits wieder knöchelhoch heraus, unwahrscheinlich grün gegen den schwarzen Untergrund. Um den Haufen herum befand sich ebenfalls eine der kahlen, hartgetrampelten Flächen. Elsbeth musste plötzlich an das denken, was sie vom Fall Montsegurs gehört hatte: der riesige Scheiterhaufen und die zweihundert Männer und Frauen, die darauf gebrannt hatten. Irgendetwas kam ihr an dem verkohlten Haufen merkwürdig vor, aber sie konnte nicht fassen, was es war.
    Beide wussten sie, dass die Burg leerstand, noch bevor sie das schief in den Angeln hängende Tor der Vorburg öffneten und hindurchtraten. Hühner pickten im hohen Gras zwischen den Wirtschaftsgebäuden und den Wohnhäusern der Burgbediensteten. Der Gockel stand auf dem Weg und betrachtete sie mit dem richtungslosen Hass, der in allen Vogelaugen zu erkennen ist. Er schritt erst beiseite, als sie schon fast auf ihn traten.
    Das Tor zur Hauptburg stand weit offen. Es führte in einen Einschnitt zwischen den Felsen, der im Schatten lag und einen dumpfen Geruch ausstrahlte. Sie sahen sich an, dann gingen sie hindurch mit dem Gefühl, ein riesiges Grabmal zu betreten.
    Eine Stunde später standen sie wieder vor dem Tor der Vorburg im Freien. Ohne sich abzusprechen, hatten sie beschlossen, dass sie sich draußen wohler fühlten als in der verlassenen Burg, auch wenn die Schatten bereits purpurn wurden, die Überreste des Johannisfeuers noch ominöser aussahen als zuvor und immer mehr Raben in die Obstbäume flatterten.
    »Alles leer«, sagte Reinhild.
    »Und wo die Kammern und Säle nicht gänzlich ausgeräumt waren, waren die Möbel zerstört«, sagte Elsbeth.
    »Ich hatte gefürchtet, dass die Menschen, die hier gelebt haben, irgendwo in einem versteckten Raum …«
    »Ja, ich auch.«
    »Was, glaubst du, ist hier geschehen?«
    Elsbeth zuckte mit den Schultern. Die Enttäuschung war so groß, dass sie keinen Gedanken fassen konnte. Das Einzige, was sie daneben noch fühlte, war eine stärker werdende Beklemmung, je länger die Stille und die Erinnerung an die kahlen Räume auf sie wirkten. Es war erkennbar gewesen, dass die Burg noch nicht lange leerstand – die Sommersaat war noch ausgebracht worden, und im Inneren des großen Rauchabzugs in der Küche hatte der Regen noch nicht lange genug Zeit gehabt, den Ruß von den Steinen zu waschen. Sie starrte in den Sonnenuntergang. Langsam schlich sich die Erkenntnis heran, dass sie Hedwig eröffnen musste, dass ihre Familie spurlos verschwunden war.
    »Ich meine, wenn sie ihren Besitz aufgegeben hätten, hätten sie das Kloster doch benachrichtigt, oder? Oder sich von Hedwig verabschiedet?« Reinhild versuchte wie üblich, sich über die Ratio an die Angelegenheit heranzuarbeiten.
    »Hedwig war seit März mit uns in Wizinsten.«
    »Na und? Es wirkt zwar so, aber es ist doch nicht am Ende der Welt. Die Mutter Oberin hätte ihnen doch den Weg gewiesen.«
    Elsbeth zuckte wieder mit den Schultern.
    Reinhild drehte sich um und musterte die Burg, die hinter ihnen aufragte. Das letzte Sonnenlicht vergoldete den Sandstein des Bergfrieds an der Westflanke; die anderen drei Seiten lagen im Schatten und sahen aus wie mit getrocknetem Blut bemalt. »Warum sind sie von hier fortgegangen?«, murmelte sie hilflos.
    »Reinhild – sie sind nicht fortgegangen . Hedwigs Familie waren keine Wanderbauern, die ihre Pächterhütte verlassen haben, weil sie glauben, dass es ihnen anderswo besser ergeht. Die Burg und deren Ländereien sind seit Ewigkeiten im Familienbesitz. So etwas verlässt man nicht einfach so.«
    »Vielleicht sind sie ins Heilige Land gezogen …«
    »Mit Mann und Maus und den Küchenmägden? Und aus welchem Grund? Um einen neuen Kreuzzug zu beginnen?«
    »Und wenn es eine Fehde gegeben hat?«
    »Wenn es einen Kampf um die Burg gegeben hätte und Hedwigs Vater hätte ihn verloren, dann stünden

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