Die Pforten der Ewigkeit
Ihr nicht immer zugegen sein und rettend eingreifen könnt, Schwester Elsbeth, da habe ich vorgesorgt und mir den Judenfleck brav an den Rock geheftet«, sagte er.
Elsbeth musterte ihn verdrossen. »Hat sich rumgesprochen, was?«
»Das ist das Einzige, was gute Taten mit den bösen gemeinsam haben – dass jeder sofort davon redet.«
»Was tut Ihr hier, Reb Daniel?«
Daniel bin Daniel, der wohlhabendste und einflussreichste unter den jüdischen Bürgern Papinbercs, vollführte eine ausholende Geste. »Ich bin auf der Reise zurück in meine Heimatstadt.«
»Mit jeder Menge Handelsware, nehme ich an.«
»Sagen wir so, Schwester Elsbeth – selbst Eure ehrwürdige Mutter Oberin wartet auf das gute Bienenwachs meiner neuen wendischen Geschäftsfreunde. Kirchen möchten erleuchtet sein.« Er beugte sich zu Elsbeth herab und flüsterte verschwörerisch: »Synagogen übrigens auch.«
Reinhild, die den blendend aussehenden Kaufmann hingerissen gemustert hatte, gab sich einen sichtbaren Ruck. »Es tut uns leid, dass Eure Glaubensbrüder so schändlich behandelt wurden!«, blökte sie.
»Ich weiß, dass es Euch leidtut, Schwester … Ihr seid Schwester Reinhild, nicht wahr?«
»Äh …«, machte Reinhild, für einmal völlig fassungslos.
Elsbeth trat Reinhild erneut auf die Zehen, diesmal mit Absicht.
»… Schwester Reinhild«, fuhr Daniel bin Daniel fort und lächelte. Das Lächeln des jüdischen Kaufmanns spiegelte sich im Gesicht der jungen Klosterschwester wider, nur dass ihre Augen glasig vor Entzücken geworden waren. »Ich weiß auch, dass Ihr nichts dafür könnt.«
»Sehr großzügig von Euch, nicht hinzuzufügen, dass Ihr auch wisst, dass es vielen Papinbercern nicht leidtut und dass sie sehr wohl etwas dafür können.«
Daniel bin Daniel machte eine wegwerfende Handbewegung. »Man muss nicht immer in den Wunden anderer Leute herumstochern, Schwester Elsbeth.«
Elsbeth räusperte sich. Ihre bisherigen Begegnungen mit dem reichen Juden waren nur kurz gewesen und hatten stets in Begleitung der Äbtissin stattgefunden, aber auch da hatte sie Daniel bin Daniel immer dafür bewundert, wie er mit wenigen Worten nicht nur den Sachverhalt, sondern auch die Dinge zwischen den Zeilen so anzusprechen vermochte, dass man keine Antwort mehr darauf fand und nicht einmal beleidigt sein konnte deswegen.
»Warum seid Ihr immer noch hier?«, fragte sie.
»Wer sagt, dass unser Aufenthalt hier schon länger dauert?«
»Sagen tut es niemand, aber ich brauche nur diese kleinen Anzeichen von Langeweile unter Euren Leuten zu betrachten und dass das Fell der Zugtiere sich schon wieder aufgerichtet hat dort, wo es normalerweise vom Geschirr niedergedrückt wird, und ich ahne, dass Ihr mindestens seit gestern Abend hier seid. Habt Ihr den ganzen Tag verschwendet?«
»Mir war klar, dass es keine Verschwendung sein würde, wenn man auf jemanden mit solchem Scharfsinn wartet.«
»Ihr habt auf … uns gewartet?«
Daniels Gesicht wurde ein wenig ernster. »Wir sind seit Anfang August unterwegs, vom Süd-Mecklenburgischen herab. Gestern gegen Mittag trafen wir auf ein Fässchen Bier, das von etlichen Benediktinermönchen begleitet wurde. Diese erzählten uns, dass sie sich am Morgen von zwei wahnsinnig gewordenen Klosterschwestern aus Papinberc getrennt hätten, die jemanden auf einer Burg aufsuchen wollten und ganz ohne Geleitschutz dorthin unterwegs wären. Ich fragte nach den Namen der beiden Klosterschwestern, und ich war nicht überrascht …«
»… meinen Namen zu hören«, sagte Elsbeth resigniert. »Jeder weiß, wenn etwas Verrücktes geschieht, kann man es mit einiger Sicherheit mit meinem Namen in Verbindung bringen.«
»Ihr seid zu hart gegen Euch selbst.«
»Also habt Ihr vor, uns zu fragen, ob wir mit Euch zusammen zurückreisen wollen.«
»Es wäre uns eine Ehre.«
»Wieso habt Ihr gewartet? Wir hätten uns viele Tage lang auf der Burg aufhalten können.«
Aus Daniel bin Daniels Gesicht wich das Lächeln vollkommen. »Weil es hier im näheren Umkreis nur eine einzige Burg gibt, und die ist verlassen.«
»Ihr wisst das …?«
»Anfang Juli waren wir auf dem Hinweg zu meinen Geschäftspartnern, natürlich auch auf dieser Strecke. Wir hörten Gerüchte und forschten ein wenig nach. Man kann nie zu viel wissen über die Straße, auf der man reist.«
»Was besagen die Gerüchte?«
Daniel bin Daniel sah sich um, als wolle er sich vergewissern, dass seine Worte nicht auf die falschen Ohren trafen.
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