Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman
ihm unerbittlich klar. »Und wie wird Selbstmord geahndet?Bruder Ailgesach würde man als fingalach bezeichnen.«
Fidelma benutzte den in der Rechtsprechung gängigen Begriff, nach dem Selbstmord dem Totschlag an einem Verwandten gleichkam. Das grässliche Vergehen von fingal oder Totschlag innerhalb der Sippe aber rührte ans innerste Wesen der auf den Zusammenhalt des Clans gegründeten Gesellschaft, in der Fidelma lebte, und das Gesetz ließ in solch einem Fall härteste Strafen zu.
»Er wusste doch aber nicht mehr, was er tat«, setzte sich Bruder Biasta zur Wehr.
»Mit dem Argument kannst du ihn schlecht verteidigen«, entgegnete Fidelma. »Er war bei vollem Verstand und nutzte ihn leider nicht, sondern trank mehr, als er vertrug. Alles andere ist eine Folge seines Fehlverhaltens. Doch vielleicht lassen sich mildernde Umstände finden. Wir sollten gemeinsam versuchen, sie aufzuspüren.«
Bruder Biasta hielt von dem Vorschlag wenig und verzog das Gesicht. »Was kann ich dazu schon sagen? Ich hatte ihn lange nicht mehr gesehen, das habe ich ja schon erwähnt. Und was ihn bedrängte, das kann ich dir auch nicht erklären.«
»Dann beantworte meine Frage so gut du kannst, vielleicht kommen wir dann doch etwas weiter.«
Der Mönch starrte sie eine Weile fast feindselig an, schickte sich aber schließlich mit einem Stoßseufzer in sein Los.
»Und deine Frage wäre?«
»Lass uns damit beginnen, woher er kam und aus welchem Clan er stammte. Ich meine, bevor er in die Abtei von Biorra eintrat. Du sagst ja, du wärest sein Vetter.«
»Wir kommen aus dem Clan der Muscraige Tíre.«
Fidelma wusste, dass die Muscraige Tíre im Nordosten des Königreiches ansässig waren und zu einem der sechs Muscraige-Clans gehörten, die weit voneinander entfernt siedelten, jedoch einem gemeinsamem Stammesfürsten verpflichtet waren. Die Oberhoheit der Könige von Cashel hatten sie vor langer Zeit anerkannt. Vom Nordosten aus erstreckte sich das Gebiet der Muscraige in einer fast diagonalen Linie hinunter in den Südwesten zu den Muscraige Mittine in das Tal des Laoi, eines der großen Flüsse im Südwesten.
»Dann seid ihr also Nachfahren des Cairbre Musc?«, erkundigte sich Fidelma ruhig.
Bruder Biasta war ob der Frage leicht verwirrt, wiederholte dann aber trotzig: »Wir kommen aus dem Clan der Muscraige Tíre.«
»Land und Leute dort sind mir durchaus bekannt«, erwiderte Fidelma sinnend. »Als Kind habe ich meine erste Erziehung in der Abtei von Inis Celtra erfahren. Erst danach studierte ich Recht«, fügte sie, mehr für Eadulf, hinzu.
»Wir kommen aus dem Gebiet zwischen den beiden Strömen, aus Tír Dhá Ghlas.«
»Ein wunderschönes Land. Und eure Familie? Was macht die?«
»Sie sind einfache Bauern. Aber mein Vetter und ich gingen zur Ausbildung nach Biorra, habe ich ja schon gesagt.«
Wieder gewann Fidelma den Eindruck, dass Bruder Biasta sich mit seinen Auskünften sehr zurückhielt, sich weder über seine Herkunft noch über die von Bruder Ailgesach etwas entlocken ließ.
»Wie hieß dein Vetter, ehe er den Namen als Gottesdiener annahm?«, fragte sie unvermittelt.
Um Bruder Biastas Augen zuckte es. »Ailgesach war sein richtiger Name. Seine Eltern waren gottesfürchtige Leute und wollten von vornherein, dass er Mönch wurde.«
Abermals hatte Fidelma das Gefühl, dass er ihren Fragen auswich.
»Wie war das, wo und wann hast du deinen Vetter zuletzt gesehen?« Sie wurde im Ton schärfer.
»Hab ich doch schon gesagt, ungefähr vor einem Jahr in Biorra, bevor er nach Süden ging.«
»In die Abtei von Imleach?«
Bruder Biasta kniff die Augen zusammen. »Auch das habe ich bereits gesagt, ich weiß es nicht, nur, dass er nach Süden ging.«
»Und du bist in Biorra geblieben. Im Dienste der Abtei?«
Bruder Biasta schien wieder Boden unter die Füße zu bekommen. »Ich ging nach Tír Dhá Ghlas zurück …«
»In die Abtei?«, unterbrach ihn Fidelma rasch, denn sie kannte die Gründung des heiligen Brendan dort.
»Mich trieb es ins Land der Uí Maine, und dort habe ich eine Weile gepredigt.«
»Sagtest du nicht, du hättest von deinem Vetter eine Nachricht erhalten?«
»Ich bin vor einer Woche nach Biorra zurückgekehrt und fand dort eine Nachricht vor. In der hieß es, er wäre krank und würde mich gern sehen.«
Fidelma ließ nicht locker. »Tut mir leid, du hast mir nun schon so viel erzählt, und meine Neugier ist trotzdem noch nicht gestillt.«
»Neugier? In welcher Hinsicht?«
»Dein Vetter
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