Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman
Gormán.
»Es war ein Flusskahn, der in der Regel von vier Mann gerudert wird. Ich hatte den Eindruck, außer den Ruderern waren noch mehr Leute an Bord. Einer der Männer war nach vorn über sein Ruder gesackt und stöhnte leise. ›Braucht ihr Hilfe?‹, fragte ich. Der Mann auf dem Steg lachte nur kurz auf und erkundigte sich, ob ich der Fährmann sei. Kaum hatte ich das bejaht, hieß es: ›Du musst mitkommen. Wir benötigen deine Kraft und dein Geschick beim Rudern. Unser Gefährte ist krank geworden und kann nicht mithalten.‹ Ich glaube, er hat auch gesagt, er würde mich ordentlich entlohnen. Ich habe ihn gefragt, wie weit sie noch in der Dunkelheit flussaufwärts wollten, und habe ihm geraten, bis zum Tagesanbruch zu warten. Der Mann, der offensichtlich der Bootsführer war, meinte, es sei nicht mehr weit, und es würde sowieso bald hell werden. Sie müssten die Wüstenei erreichen, die wirCabragh nennen. Die grenzt nördlich von hier an den Suir.«
»Du bist also an Bord gegangen, um als Ruderknecht auszuhelfen?«, fragte Eadulf in der Hoffnung, gleich etwas Wichtiges zu erfahren.
»Während wir miteinander redeten«, berichtete Echna weiter, »kam mein Sohn Enán aus der Hütte und hörte die letzten Sätze mit an. ›Dein Platz ist an Mutters Seite‹, sagte er, ›ich werde auf dem Boot rudern helfen. Cabragh ist doch nicht weit von hier.‹«
»Wieso hat deine Frau solche Angst?«, fragte Gormán. »Ist er nicht längst zurück?«
»Nein, unser Sohn ist noch nicht wieder zurück. Der Bootsführer hat uns gesagt, wir dürften niemandem von dem Boot erzählen, weder dass es hier vorbeigekommen ist, noch welche Leute drauf waren. Wenn wir uns daran hielten, würde alles gut werden. Doch die Warnung war nicht zu überhören, es würde uns schlecht ergehen, wenn wir seine Weisung nicht befolgten.«
»Hat er euch gedroht?«
»Jedenfalls musste ich das so auffassen.«
»Trotzdem ist dein Sohn in das Boot gestiegen?«
»Wir hatten keine andere Wahl. Sie waren bewaffnet, soweit ich das ausmachen konnte. Und deshalb hat meine Frau solche Angst, euch davon zu erzählen.«
Eadulf schaute den Fährmann voller Mitgefühl an. »Sei unbesorgt, von uns erfährt niemand, was wir von euch gehört haben. Du musst wissen, diese Kerle haben die Schwester des Königs entführt, deshalb verfolgen wir sie.«
Entsetzen machte sich auf den Zügen des Fährmanns breit. »Möge Gott euch beschützen«, stammelte er. »Ihr hättetmir sofort sagen sollen, was geschehen ist. Wenn Fidelma von Cashel gefangen auf dem Boot war und ich meinem Sohn erlaubt habe, den Entführern zu helfen, dann kommt große Schande über mich.«
»Du hast es nicht gewusst, und selbst wenn du es gewusst hättest, was hättest du tun können?«, erwiderte Eadulf.
»Kannst du uns etwas über den Mann sagen, mit dem du geredet hast? Ist dir irgendetwas an ihm aufgefallen? War er gedrungen oder hochgewachsen? Was für ein Kerl kann er gewesen sein?«
Echna hob hilflos die Schultern. »Er stand mit dem Rücken zur Laterne, die, wie ich gesagt habe, nur noch schwach leuchtete, weil das Öl zu Ende ging. Er stand im Schatten, dass ich nicht einmal erkennen konnte, wie er gekleidet war.«
»Wie hat er geredet?«, mischte sich Gormán ein. »Stammte er von hier, oder hast du erraten können, aus welcher Gegend er kam?«
Eine solche Frage zu stellen, wäre Eadulf nicht in den Sinn gekommen, denn als Fremdländischer konnte er die Mundarten, die in den fünf Königreichen gesprochen wurden, kaum voneinander unterscheiden. Er warf Gormán einen anerkennenden Blick zu.
»Bestimmt war er aus dem Südosten«, erwiderte der Fährmann. »Ich glaube sogar, er gehörte zu den Osraige.«
Eadulf blickte Gormán fragend an. »Der Fluss ist schiffbar bis ins Gebiet der Osraige, stimmt’s?«
»Der Stamm der Osraige beansprucht Gebiete am Ostufer des Suir, wo er durch Durlus Éile fließt. Doch die Stammesleute der Éile behaupten, es sei dort an beiden Ufern ihr Land. Vor Jahren haben die Brehons beider Stämme sich darauf geeinigt, dass das Land zu beiden Ufern desSuir dort den Éile gehört. Wie dem auch sei, jedenfalls liegt das Gebiet der Osraige auch in der Nähe des Stroms.«
Eadulf musste plötzlich an den entflohenen Mönch Biasta denken, den zu verfolgen sie eigentlich aufgebrochen waren. Vielleicht war der Zeitpunkt von Fidelmas Entführung nur ein Zufall – was aber, wenn da ein Zusammenhang bestand?
»Um von Durlus Éile weiter nach Biorra oder
Weitere Kostenlose Bücher