Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman
hatte sie auch die Strömung des Flusses außer Acht lassen können! Doch rasch hatte sie sich wieder in der Hand und überlegtelaut: »Aber warum sollen sie ausgerechnet hier an Land gegangen sein?«
»Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung.« Eadulf wies auf die zusammengetriebenen Baumstämme, in denen das Boot festgelegen hatte. »Die Stämme, die sich dort angestaut haben, rühren sich nicht von der Stelle, selbst die Strömung hat sie nicht voneinander lösen können. Die Entführer sind also bis hierher gekommen, und dann rückte und rührte sich das Boot nicht mehr. Es blieb einfach in dem stillen und durch die Stämme geschützten Wasser stehen. Vielleicht hätten sie es aus dem Wasser zerren, das Hindernis umrunden und dahinter wieder einsetzen können, aber das war wahrscheinlich mit einem Gefangenen an Bord und einem Ruderer mit verletztem Arm zu riskant.«
Fidelma wollte seiner Beweisführung nicht gleich glauben, lächelte dann jedoch beschämt. Zuweilen unterschätzte sie Eadulfs Fähigkeit, aus gegebenen Situationen Schlussfolgerungen zu ziehen.
»Aber auf welcher Flussseite sie an Land und in welche Richtung sie weitergingen, das kannst du uns wohl nicht auch noch sagen, oder?«, versuchte sie mit leichtem Sarkasmus ihr eigenes Versagen zu überspielen.
Eadulf ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Sie gingen auf dieser Seite an Land und zogen weiter ostwärts.«
Fidelma zog die Augenbrauen hoch. Zahlte er es ihr mit gleicher Münze heim? Doch da rief auch schon Enda, der sich unter den Kriegern von Cashel einen Ruf als hervorragender Spurensicherer erworben hatte, triumphierend: »Freund Eadulf hat recht, Lady.« Er zeigte auf die Erde. »Fußabdrücke von sechs Leuten, einer von ihnen mit schleppendem Schritt. Sie sind hier an Land gegangen, musstenzwar den Fluss verlassen, haben aber die Richtung nach Osten beibehalten.«
»Demnach sind sie zu Fuß weiter?«, vergewisserte sich Eadulf. Er behielt für sich, dass er die Fußspuren schon gesichtet und deshalb die Frage halbherzig gestellt hatte; ohnehin waren Endas Feststellungen genauer. »Gibt es hier in der Nähe eine Möglichkeit, wo sie Pferde kriegen könnten?« Die Frage galt dem jungen Bauern.
»Pferde werden eure Freunde hier nirgends auftreiben können. Ich selbst habe nur einen kräftigen Ackergaul, und andere Bauernhöfe gibt es ringsherum nicht.«
»Dann könnten wir sie durchaus noch einholen«, meinte Gormán befriedigt.
»Bei einer Nacht und einem Tag, den sie Vorsprung haben?« Eadulf hatte seine Zweifel.
»Wenn sie irgendwohin Richtung Osten wollen, müssen sie durchs Moor. Man muss die Trampelpfade genau kennen. Das Land ist zwar flach, aber der Untergrund ist tückisch; da rasch vorwärtszukommen, ist nicht leicht, und zu Fuß schon gar nicht.«
Fidelmas Interesse galt noch einmal dem Boot. »Gibt es keinerlei Kennzeichen, die darauf hindeuten, wem es gehört hat?«
Gormán schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts dergleichen feststellen können. Boote wie das da sind auf dem Suir üblich – geräumig und mit vier Rudern.«
Fidelma wandte sich dem jungen Bauern zu. »Du weißt, dass nach dem Gesetz das Boot ein fríthe ist.« Der Begriff hieß so viel wie »aufgefunden«, und das Boot galt damit als verlorenes Eigentum.
»Ich kenn mich in der Gesetzgebung nicht aus, Lady«, gestand der junge Mann verlegen.
»Wer herrscht über diese Gegend hier? Befinden wir uns schon im Stammesland der Osraige?«
»Ihr seid immer noch im Land der Éile, Lady«, empörte sich der Mann. »Erst weiter vorn, wo der Fluss sich gabelt, endet unser Gebiet.«
»Dann mach dich auf den Weg nach Durlus Éile und frage nach dem Hofmeister von Prinzessin Gelgéis. Sag ihm, Fidelma von Cashel hätte dich geschickt.«
Der Bauer starrte sie mit großen Augen an, ging ihm doch jetzt erst auf, mit wem er es zu tun hatte.
»Berichte Spealáin – so heißt der Hofmeister –, dass du das Boot gefunden hast. Sag ihm, du wärst gekommen, um den Fund des Bootes anzuzeigen, so, wie es das Gesetz verlangt, denn das Auffinden fremden Eigentums muss so und nicht anders gemeldet werden. Hast du das verstanden?«
»Ja, Lady.« Nervös fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen.
»Deine Mühe für den Weg wird sich lohnen«, ermunterte ihn Fidelma. »Als Finderlohn steht dir nämlich ein Teil des Wertes des gefundenen Gegenstandes zu. Je weiter weg der Fundort ist, desto größer ist der Wertanteil, der an dich geht.«
Der Bauer krauste die
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