Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman
naturgemäß keinerlei Fußspuren zu sehen. Zwischendurch gab es auch Abschnitte, die mit gespaltenen Feldsteinen gepflastert waren. Es war leicht zu erkennen, dass die Steinplatten erst kürzlich verlegt worden waren, und tatsächlich lag zu beiden Seiten des Wegs noch viel bearbeitetes Material aufgehäuft. Nicht, dass man es achtlos hatte liegen lassen, es deutete vielmehr darauf hin, dass die Bauarbeiten noch im Gange waren. Offensichtlich hatten die Straßenbauer die Arbeit am Abend nur unterbrochen und würden am nächsten Morgen erneut zu Werke gehen.
»Wahrscheinlich planen die Brüder eine Straße von der Abtei zum Fluss und hinüber nach Durlus Éile«, vermutete Fidelma.
»Schön und gut, aber Spuren kann ich nun nicht mehr verfolgen«, ereiferte sich Enda.
»Nicht so schlimm; ich denke, die Entführer werden sich an die Straße hier halten, auf der man gut vorwärtskommt, und werden das Sumpfgebiet meiden«, entgegnete Fidelma.
Gormán machte ein nachdenkliches Gesicht. »Erstaunlich, dass die Osraige gerade hier mit solchem Aufwand eine neue Straße bauen.«
Fidelma gab zu, dass auch sie von dem Arbeitsaufwand überrascht war. Eadulf wusste von Fidelma, dass ihre Landsleute die Verkehrswege nach Länge und Bedeutung einteilten und dass die Gesetzgebung von sieben Straßentypen sprach. An erster Stelle standen die fünf großen slige , die Heerstraßen, die die fünf Königreiche mit dem Sitz des Hochkönigs in Tara verbanden. Die Straße, auf der sie jetzt ritten, fiel irgendwie aus dem Rahmen, denn sie konnte eigentlich nur von der alten Abtei von Liath Mór kommen, wie Fidelma meinte. Wiederum war sie keine kleine Nebenstraße, wie sie normalerweise zu Abteien führte. Eher konnte man sie als eine ramut bezeichnen, eine breite Hauptstraße ohne Begrenzung links und rechts, so dass Pferde und Kriegswagen mühelos von Festung zu Festung unterwegs sein konnten. Im Allgemeinen führte eine Straße dieser Ordnung zum Sitz eines Königs. Fidelma achtete mit besonderem Interesse auf das verwendete Material und die Bauweise der Straße. Für den Damm oder tóchar hatte man abwechselnd Zweige, Erde, Steine und Strauchwerk übereinandergeschichtet, festgestampft und dann mit Planken abgedeckt. Die Straße war von erstaunlicher Breite, zwei Gespanne mit jeweils zwei Pferden konnten mühelos aneinander vorbei, ohne dasTempo verringern zu müssen. Das musste man sich einmal vorstellen – vier Pferde nebeneinander und immer noch genügend Platz! Was für eine Art Straße war das, und wofür war sie gedacht?
»Sie sieht mir mehr nach einer Heerstraße aus, weniger nach einem einfachen Weg zu einer Abtei«, bemerkte Gormán und sprach damit aus, was sie ebenfalls dachte.
»Wie auch immer, die Abenddämmerung lässt nicht lange auf sich warten, und wir werden für die Nacht um Gastfreundschaft bitten müssen, wenn wir nicht auf offener Straße übernachten wollen, denn zu beiden Seiten haben wir nur Morast«, stellte Enda mit Recht fest.
Dank der Straße kamen sie gut voran, auch wenn ihnen der Wind etwas zu schaffen machte, der mit fortschreitender Stunde stärker wurde. Fidelma behielt ihre unguten Gefühle für sich. Da die Osraige die Könige von Muman als Oberhoheit anerkannten, hätte man für einen Straßenbau von dieser Größe das Einverständnis vom König einholen müssen. Sie konnte sich aber nicht entsinnen, dass in Cashel von einem Unternehmen dieser Art die Rede gewesen war. Egal, es war, wie Enda gesagt hatte: Sie würden sich schon bald nach einer Übernachtungsmöglichkeit umsehen müssen.
Nach langem Ritt auf festem Boden und über harmlose, felsige Erhebungen hatten sie auf der neu angelegten Straße ein kleines Waldstück erreicht, eine Oase im Moor. Kaum hatten sie den Schutz der Bäume hinter sich gelassen, da stieß Enda, der voranritt, einen Überraschungsschrei aus.
»Eine Festung dort vor uns! Dahin also führt die neu gebaute Straße.«
Sie blieben am Rande des Wäldchens stehen und hattenmehrere graue Gebäude aus Holz und Stein vor sich, die von einer hohen Steinmauer umgeben waren. Die Anlage war von gewaltigem Ausmaß und schien ebenfalls neu gebaut, und die Straße führte direkt bis zu den abweisenden dunklen Holztoren. An einer Seite der Tore ragte so etwas wie ein Wachturm empor.
Fidelma starrte fassungslos auf das Bild, das sich ihr auftat.
»Da dürfte keine Festung sein«, sagte Gormán konsterniert. »Und doch ist da eine. Genau an der Stelle stand Chaecmócs Abtei,
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