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Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Regeln, Beschränkungen, die eingrenzen , was wir tun können. Beim Heranwachsen lernt das Kind, seine Regeln zu modifizieren, indem es mehr von den Regeln wahrnimmt. Anfangs könnte es versuchen, das Zimmer in der Annahme zu durchqueren, der Stuhl sei kein Hindernis; wenn er sich nicht beiseite bewegt, wird das Kind Frustration fühlen, eine »Leidenschaft«. Und es kriegt einen Wutanfall. Später, wenn es seinen Weg so auswählt, dass es den Stuhl meidet, wird mehr von seinen Plänen friedlich und erfolgreich aufgehen. Wenn das Kind wächst und mehr von den Regeln lernt – von Gottes Willen oder vom Gewebe der universellen Kausalität –, wird dieser fortschreitende Erfolg eine ruhige Akzeptanz der Beschränkungen hervorbringen: eher Friede als Leidenschaft.
    Kauffmans At Home in the Universe (»Zu Hause im Universum«) ist ein Buch sehr in der Art Spinozas, denn er erkannte, dass wirklich jeder von uns – mit der Belohnung des Friedens und der Disziplin der Leidenschaft und ihrer Zügelung – in seinem eigenen Universum sein Zuhause findet. Wir passen in das Universum als Ganzes, wir haben uns darin und daran entwickelt, und ein erfolgreiches Leben beruht auf der Erkenntnis, wie das Universum unsere Pläne einschränkt und unser Verständnis belohnt. »Bitte« und »danke« haben im Gebet Spinozas keinen Platz. Diese Sichtweise verschmilzt den Handwerker mit dem Philosophen, die ursprüngliche Achtung vor der Tradition mit den barbarischen Tugenden von Liebe und Ehre.
    Und sie gibt uns eine völlig neue Art von Geschichte mit einer zivilisierenden Botschaft. Statt des barbarischen »Und dann rieben wir die Lampe aufs Neue … und wieder erschien der Dschinn« zieht jetzt der erste Königssohn aus, um eine Aufgabe zu erfüllen und die Hand der schönen Prinzessin zu gewinnen – und versagt. Erstaunlich! Kein barbarischer Held versagt jemals. Eigentlich versagt in magischen Geschichten von barbarischen oder Stammesgesellschaften letzen Ende nie jemand, ausgenommen böse Riesen, Zauberer und Großwesire. Die neue Geschichte aber erzählt, wie der zweite Königssohn von diesem Versagen lernt, und zeigt dem Zuhörer – und dem Lernenden –, wie schwer die Aufgabe ist. Dennoch versagt auch dieser , denn Lernen ist nicht leicht. Aber der dritte Sohn – oder das dritte Ziegenböckchen oder das dritte Schwein – zeigt, wie man in einer spinozanischen, aufgeklärten Welt der Beobachtung und Erfahrung Erfolg hat. Geschichten, in denen Leute von den Fehlern anderer lernen, sind ein Kennzeichen einer zivilisierten Gesellschaft.
    In unserem »Mach-einen-Menschen-Baukasten« ist Narrativium hinzugekommen. Es erzeugt eine andere Art Geist als den in der Stammesgesellschaft, wo es immer nur heißt: »Tu das, weil wir das immer so gemacht haben und weil es funktioniert« und »Tu das nicht, weil es tabu ist, böse, und weil wir dich umbringen, wenn du es tust«. Und er unterscheidet sich auch vom barbarischen Geist: »Das bringt Ehre, Beute, großen Reichtum und viele Kinder (wenn ich nur einen Dschinn kriegen kann oder eine Dgun* [* Eine Dgun ist eine »dispersion gun«, aber wenn Sie kein Freund der einschlägigen Computerspiele sind, brauchen Sie das eigentlich nicht zu wissen. – Anm. d. Übers. ]), ich werd mich doch nicht erniedrigen, diese Hände mit gemeiner Arbeit zu entehren.« Dagegen lernt das zivilisierte Kind, die Aufgabe zu wiederholen, mit dem Korn des Universums zu arbeiten.
    Der Leser von Geschichten, die von Narrativium geformt worden sind, ist bereit, alles zu tun, was zum Verständnis der Aufgabe nötig ist. Vielleicht ist es im Universum der Geschichte nicht die vornehmliche Beschäftigung, sich für die Heirat mit einer Prinzessin zu qualifizieren, aber die Haltung des Prinzen wird ihm im Bergwerk gute Dienste leisten, an der Börse, im Wilden Westen (laut Hollywood ein Großlieferant von Narrativium) oder als Vater und Feudalherr. Wir sagen »er«, denn »sie« hat es schwerer: Narrativium ist bisher nicht für Mädchen gefördert und geformt worden, und die Art, wie feministische Mythen es formen, scheint sich um andere Fragen zu drehen als die auf Jungen ausgerichteten Modelle. Aber wir können das korrigieren, wenn wir uns erinnern, dass Narrativium durch Beschränkung übt.
    Die Scheibenwelt, technisch gesehen zwar eine Welt, die mit Märchen funktioniert, bezieht einen Großteil ihrer Kraft und ihres Erfolges aus der Tatsache, dass die Märchen fortwährend in Zweifel gezogen und

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