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Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Lebens«.
    Beide Geschichten vereinfachen übermäßig ein wunderbar komplexes interaktives System. DNS als Blaupause sagt, das Genom sei eine molekulare »Karte« eines Organismus. DNS als Nachricht sagt, ein Organismus könne diese Karte an die nächste Generation weitergeben, indem er die geeignete Information »sendet«.
    Beide sind sie falsch, obwohl sie als Science Fiction recht gut sind – oder zumindest als auf interessante Weise schlechte Science Fiction mit guten Spezialeffekten.
    Wenn es einen Empfänger für die DNS-»Nachricht« gibt, so ist es nicht die nächste Generation des Organismus, der zur Zeit der »Sendung« der »Nachricht« noch gar nicht existiert, sondern das Ribosom, die molekulare Maschine, die die DNS-Sequenzen (in einem Protein codierenden Gen) in Protein umwandelt. Das Ribosom ist ein wesentlicher Teil des Verschlüsselungssystems; es fungiert als »Adapter«, der die Sequenz-Information entlang der DNS in eine Sequenz von Aminosäuren in Proteine verwandelt. Jede Zelle enthält viele Ribosomen; wir sagen »das« Ribosom, weil sie alle identisch sind. Die Metapher von der DNS als Information ist fast universell geworden, doch praktisch noch niemand hat geäußert, das Ribosom müsse ein umfangreiches Reservoir von Information sein. Die Struktur des Ribosoms ist jetzt sehr detailliert bekannt, und es gibt kein Anzeichen für eine offensichtlich »informationstragende« Struktur wie jene in der DNS. Das Ribosom scheint eine festgelegte »Maschine« zu sein. Wo also ist die Information hingeraten? Nirgends hin. Das ist die falsche Frage.
    Die Wurzel dieses Missverständnisses liegt in der fehlenden Aufmerksamkeit für den Kontext. Die Wissenschaft ist sehr stark in Bezug auf den Inhalt, hat aber die Angewohnheit, »äußere« Begrenzungen des untersuchten Systems zu ignorieren. Der Kontext ist eine wichtige, aber vernachlässigte Eigenschaft der Information. Es ist so einfach, das Augenmerk auf die kombinatorische Klarheit der Nachricht zu lenken und den wirren, komplizierten Prozess zu vernachlässigen, den der Empfänger durchführt, wenn er die Nachricht entschlüsselt. Der Kontext ist entscheidend für die Interpretation von Nachrichten: für ihre Bedeutung. In seinem Buch The User Illusion (»Die Nutzer-Illusion«) hat Tor Nørretranders den Begriff Exformation eingeführt, um die Rolle des Kontexts zu erfassen, und in Gödel, Escher, Bach hat Douglas Hofstadter dasselbe festgestellt. Beobachten Sie, wie im nächsten Kapitel die ansonsten unverständliche Nachricht »DIESCHICHTEGE« deutlich wird, wenn der Kontext beachtet wird.
    Statt sich die DNS als »Blaupause« vorzustellen, die einen Organismus codiert, kann man sich leichter vorstellen, dass eine CD Musik codiert. Die biologische Entwicklung gleicht einer CD, die Anweisungen für den Bau eines neuen CD-Players enthält. Man kann diese Anweisungen nicht »lesen«, wenn man nicht schon einen hat. Wenn Bedeutung nicht vom Kontext abhängt, dann müsste der Code auf der CD eine unveränderliche Bedeutung haben, eine, die nicht vom Player abhängt. Hat er die aber?
    Vergleichen Sie zwei Extreme: einen »Standard«-Player, der den digitalen Code so auf Musik abbildet, wie es die Hersteller vorgesehen haben, und eine Musikbox. Bei einer normalen Musikbox ist die einzige Nachricht, die man sendet, etwas Geld und ein Druckknopf; im Kontext der Musikbox werden diese aber als Äquivalent von mehreren Minuten Musik interpretiert. Im Prinzip kann jeder Zahlencode jedes Musikstück »bedeuten«, das Sie wünschen; es hängt nur davon ab, wie die Musikbox eingestellt ist, das heißt, von der Exformation, die der Konstruktion der Musikbox entspricht. Nun stellen Sie sich eine Musikbox vor, die nicht auf eine CD reagiert, indem sie die darauf als Folge von Bits codierte Musik spielt, sondern indem sie diesen Code als Zahl interpretiert und dann eine andere CD spielt, der diese Zahl zugeordnet wurde. Nehmen wir zum Beispiel an, eine digitale Aufzeichnung von Beethovens Fünfter beginnt mit 11001. Das ist die Binär-Darstellung der Zahl 25. Die Musikbox liest die CD also als »25« und sucht CD Nummer 25 heraus, beispielsweise eine Jazz-Aufnahme von Charlie Parker. Anderseits befindet sich anderswo in der Musikbox die CD Nr. 973, die tatsächlich Beethovens Fünfte Sinfonie ist. Eine CD mit Beethovens Fünfter kann also auf zwei total unterschiedliche Arten »gelesen« werden: als »Zeiger« auf Charlie Parker oder als Beethovens Fünfte

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