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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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zu verstecken? Und bei wem sind sie sicher?«
    »Bringen Sie alles zu mir!«, hatte Malesherbes erwidert. »In meinem Haus wird niemand danach suchen.«
    Dann hatte der Zensor sich auf den Weg in die Rue de la Harpe gemacht, zu Le Bréton, um dort vom Verleger die Texte zur Beschlagnahme zu verlangen, die zur selben Zeit in sein eigenes Haus verfrachtet wurden. Die letzten Kästen waren kaum fort gewesen, als Sartine mit seinen Beamten an Diderots Tür geklopft hatte. Nur wenige Minuten früher, und der rettende Schwindel wäre aufgeflogen …
    Diderot drehte sich wieder zum Grab seines Vaters um. Undwährend er den Blick auf den frischen Erdhügel mit den welken Blumen richtete, hob er die Hand: Nie mehr, so schwor er sich und dem Alten, würde er Bücher veröffentlichen, die die Enzyklopädie gefährden konnten, weder Dramen noch Romane oder Pamphlete, und wenn er an seinen ungeschriebenen Werken verreckte!
    Die Enzyklopädie war wichtiger als jedes andere Buch.
    Sie war sein Leben.
    Seine Welt.
    Die neue Welt.

18
     
    Selten war Sophie so glücklich gewesen, sich geirrt zu haben. Ihre Verzweiflung über Malesherbes’ vermeintlichen Verrat war nach Aufklärung der Täuschung übergroßer Erleichterung gewichen. Mit einem Gefühl von Beschämung bestieg sie die Kutsche und machte sich auf den Weg, um dem Direktor der Hofbibliothek zu danken.
    Durch die Porte de Saint-Cloud gelangte sie in die Stadt. Seit Monaten war sie zum ersten Mal wieder in Paris. Sie hatte gar nicht gewusst, wie sehr sie den Betrieb der Kapitale vermisst hatte. Wie herrlich laut und bunt war das Leben hier im Vergleich zu Versailles, wo alles Geschehen sich wie auf einer Theaterbühne vollzog, kunstvoll und falsch zugleich, inszeniert von Siechen und Greisen, die geile Lebenslust heuchelten, obwohl unter der grellen Schminke ihrer Wangen längst alles Blut aus ihren Adern gewichen war. Sophie öffnete dasFenster, um die Schreie der Straßenhändler zu hören, die den Lärm und Tumult der Kreuzungen übertönten, während sie gebrauchte Hüte, rostige Töpfe und zerrissene Lumpen anpriesen. Wasserträger, links und rechts mit zwei Eimern behangen, eilten durch das Gewühl und verschwanden in den Häusern, wo sie für zwei Sous ihre Tracht bis zur Mansarde hinaufschleppten. Während die Kutsche die Quais entlangfuhr, wo es zwischen den Krämerbuden von Gaunern und Taschendieben nur so wimmelte, atmete Sophie tief die Straßenluft ein. All die alten, wohlvertrauten Gerüche, die Dünste der Seine, der Gestank von Fisch und faulem Gemüse, von Müllhalden und Jauchegruben – jetzt schienen sie ihr die tausend Wohlgerüche des Orients zu sein.
    Plötzlich ertönte ein solches Gebrüll, dass Sophie zusammenzuckte. Im nächsten Moment parierte der Kutscher die Pferde, mit einem Ruck kam der Wagen zum Stehen. Sophie beugte sich zum Fenster hinaus. Vor einer Metzgerei wand sich mitten auf der Straße ein Ochse in den Seilen, die an seinen Hörnern und Beinen befestigt waren und mit denen zwei Fleischergesellen versuchten, ihn zu bändigen. Ein riesiger Schlachter, die Arme nackt, der Nacken feist, trat mit blutverschmierter Schürze vor das Tier, holte mit einer schweren Keule aus und zertrümmerte ihm den Schädel. Laut stöhnend sank der Ochse zu Boden, am ganzen gewaltigen Körper zitternd und zuckend. Während die Beine noch um sich schlugen, stürzte der Schlachter ein zweites Mal zu dem Tier und hieb ihm sein breites Messer in die Kehle. Sprudelndes Blut quoll hervor, ergoss sich in kräftigem Schwall auf die Straße und strömte dampfend in die Gosse, wo es unter den Blicken billiger Huren, die auf den Prellsteinen hockten und ihre Wüstheit zur Schau stellten, die Schuhe der vorbeieilenden Passanten rot färbte.
    Angewidert zog Sophie den Vorhang zu. Warum gab es kein Gesetz, das die Schlachtung auf offener Straße verbot? Zum Glück zogen die Pferde wenig später an, und die Fahrt ging weiter. Beim Pont Neuf überquerten sie die Seine. Je näher sie den Tuilerien kamen, desto mehr ließ der Lärm draußen nach. Bald konnte Sophie sogar wieder das Zwitschern der Vögel hören.
    »Brrrrrr!«
    In der Rue Vivienne hielt die Kutsche an. Sophie blickte an den Fassaden hoher, Ehrfurcht gebietender Häuser hinauf. In dieser Straße residierten alle Banken von Paris – hier war mehr Geld zu Hause als in der ganzen restlichen Stadt. Das Portal des Palais Malesherbes, das sich schräg gegenüber der Diskontkasse erhob, wurde von zwei livrierten

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