Die Philosophin
überraschen, auch gebe ich gerne zu, dass ich weder das Recht noch die Mittel habe, Sie zu einem solchen Schritt zu drängen. Außervielleicht unser langjähriges Verhältnis – und meiner Versicherung, dass ein Entgegenkommen Ihrerseits Ihr Schade nicht sein soll.«
Er schaute Sartine an, doch der hielt dem forschenden Blick seines Vorgesetzten stand, obwohl seine Hand, mit der er das Glas hielt, so stark zitterte, dass er fürchten musste, den Inhalt zu verschütten.
»Um mich unmissverständlich auszudrücken«, fuhr Malesherbes fort, »der Grad meiner Erkenntlichkeit würde der Größe des Gefallens, um den ich Sie bitte, durchaus entsprechen.«
Wie um seine Worte zu bekräftigen, nahm er eine Prise Schnupftabak.
Sartine kannte die Geste. »Sie wissen«, sagte er zögernd, »ich lebe bereits seit Jahren von meiner Frau getrennt. Trotzdem, Ihre Frage trifft mich völlig unvorbereitet … Eine Scheidung ist eine sehr ernste Angelegenheit …«
»Das Leben eines jungen Menschen auch«, unterbrach ihn Malesherbes. »Um es kurz zu machen: Ich brauche Ihre Einwilligung, um Dorval zu adoptieren.«
»Sie wollen den Sohn meiner Frau adoptieren?«, fragte Sartine, zum zweiten Mal überrascht, und setzte sein Glas ab. »Wozu um Himmels willen das?«
»Ich möchte dem Jungen eine Zukunft geben. Eine Zukunft, die seinen Talenten entspricht.«
»Bitte halten Sie mich nicht für begriffsstutzig, aber offen gestanden, ich … verstehe immer noch nicht … Ich habe in keiner Weise mit einem solchen Ansinnen gerechnet … Außerdem, eine Scheidung, wie stellen Sie sich das vor?« In seiner Not fielen ihm nur die Worte der Bibel ein: »Was Gott geeint hat, das darf der Mensch nicht scheiden.«
»Sicher, so heißt es«, bestätigte Malesherbes. »Aber zum Glück kennt die katholische Kirche für jede ihrer wohl begründeten Regeln eine ebenso wohl begründete Ausnahme.« Er nahm eine Urkunde von seinem Schreibtisch und reichte sie ihm. »Hier, ich habe alles vorbereiten lassen.«
Vollkommen verwirrt nahm Sartine das Blatt, unfähig, die wenigen Zeilen zu lesen, die vor seinem Blick auf und ab zu tanzen schienen. Natürlich wusste er, dass Sophie seit über einem Jahr die Mätresse seines Vorgesetzten war, jedes Mal, wenn er daran dachte, bohrte sich dieses Wissen tiefer und schmerzlicher in seine Seele. Aber was für ein Interesse konnte Malesherbes daran haben, den Sohn von Diderot in seine Familie aufzunehmen? Diderot war ein Staatsfeind, Dorval ein Bastard, ein Wechselbalg – das konnte Malesherbes doch nicht ignorieren! War es möglich, dass die Liebe einen Mann derart verblendete? Sartine schaute auf das Blatt Papier in seiner Hand, sah die Buchstaben, die Worte, die Sätze, die ihm jetzt entgegensprangen, als wollten sie ihn verspotten. Sein Herz zog sich zusammen, als er ihren Sinn begriff, der ganze Schmerz stieg wieder in ihm auf, den Sophie ihm zugefügt hatte. Und jetzt verlangte ihr neuer Liebhaber von ihm, seine Schmach als Mann, die schlimmste Demütigung seines Lebens, öffentlich einzugestehen?
»Dorval ist mein Sohn«, sagte er, mit einem Mal entschieden. Malesherbes winkte ab. »Lassen wir das, ich weiß Bescheid.«
»Ich habe keine Ahnung, worauf Sie anspielen«, erwiderte Sartine fest. »Aber was es auch sei – ich weigere mich, in die Scheidung einzuwilligen.«
»Sie verweigern sich meinem ausdrücklichen Wunsch?«
»Allerdings!«
»Sie haben die Stirn …? Das hätte ich nicht erwartet, nachallem, was ich für Sie getan habe.« Malesherbes’ Züge wurden plötzlich hart. »Dann bleibt mir nur die Wahl, meinen Wunsch in einen Befehl zu verwandeln. Ich verlange Ihre Unterschrift, Sartine. Auf der Stelle!«
»Ich denke nicht daran.«
»Ich wiederhole: Das ist ein Befehl!«
»Das ist mir völlig einerlei!«
»Sie kündigen mir den Gehorsam?«
»Ich habe ein gutes Gewissen. In all meinen Dienstjahren habe ich mir nicht ein Versäumnis zuschulden kommen lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie das auch von sich behaupten können.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Mit Ihrem
Memorandum über die Pressefreiheit
haben Sie Spuren hinterlassen, die sehr gefährlich für Sie werden könnten.«
»Wollen Sie mir drohen?«
»Sie stellen darin die Gedankenfreiheit über die Freiheit des Staates, sich gegen seine Feinde zu verteidigen«, erwiderte Sartine. »Dafür würde jeder andere Autor zu mehreren Jahren Festungshaft verurteilt werden, wenn nicht gar zum Tod.«
»Mag sein«, Malesherbes zuckte
Weitere Kostenlose Bücher