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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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stopfte er die kalten, fettigen Reste in sich hinein, als könne er so die gähnende Leere stopfen, die sich in seinem Innern aufgetan hatte.
    Bei seiner Ankunft im Justizpalast war ihm speiübel. EinWachsoldat wies ihn an, vor dem Zimmer des Generalleutnants zu warten. Widerwillig nahm Diderot Platz. Während er sich umschaute, ob es irgendwo frisches Wasser zu trinken gab, fiel ihm ein, dass er schon einmal hier gesessen hatte, vor vielen, vielen Jahren. Von welchen Hoffnungen war er damals beseelt gewesen, Hoffnungen, die keine Verhaftung, keine Drohung, keine noch so große Gefahr hatte zunichte machen können … Was sollte er jetzt hier? Er hatte mit alledem nichts mehr zu tun.
    Durch den offenen Türspalt sah er Sartine an seinem Schreibtisch, in goldbetresster Uniform. Ein Sekretär näherte sich ihm in gebückter Haltung und flüsterte ihm ins Ohr, während ein Dutzend Bürodiener demütig und geduldig wartete, dass er über die Bittgesuche, die sich auf seinem Schreibtisch türmten, mit ein paar Federstrichen entschied. Diderot musste aufstoßen. Dieser Mann, das wusste er, verfolgte ihn schon seit Jahren mit ruhigem, systematischem Hass. Was führte er im Schilde, um sich ein weiteres Mal an ihm zu rächen?
    »Glauben Sie mir, Monsieur Diderot«, sagte Sartine, als sie wenige Minuten später einander gegenübersaßen, »ich hätte Sie zeit meines Lebens lieber zum Freund als zum Feind gehabt. Wir sind beide Männer der Wissenschaft. Wir glauben an die Vernunft, kennen keine Vorurteile und verachten jede Form von Aberglauben.«
    »Und doch trennen uns Welten, Euer Gnaden«, erwiderte Diderot, mehr aus Gewohnheit als aus Überzeugung. »Weil es meine Aufgabe ist, Bücher zu schreiben, und die Ihre, sie zu verbrennen.«
    »Ist es nicht besser, ein Buch zu verbrennen, wenn die Gefahr besteht, dass an seinem Inhalt sich das ganze Land entzündet und in Flammen aufgeht?«, fragte Sartine. »Ich tue nur, wasich als meine Pflicht erachte. Auch wenn ich weder das Geblüt noch die Tugenden noch die Talente habe, die ich haben müsste, um Ihre Achtung zu verdienen – Sie können einen Mann nicht beleidigen, der seine besten Jahre verzehrt hat, um seinen Staat gegen den Aufruhr zu verteidigen.«
    »Sie verteidigen nicht den Staat, sondern einen Tyrannen.«
    Sartine maß Diderot mit einem abschätzigen Blick. »Der schlimmste Tyrann«, sagte er, »ist die Ausschweifung, weil dieser Tyrann im Innern des Menschen haust. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe in jungen Jahren die Opfer des Lasters in ihren Höhlen gesehen, mein Dienst hat mich an all ihre Stationen geführt, in die Bordelle, wo sie ihren Anfang nehmen, und auch ins Hôpital Bicêtre, wo sie ausnahmslos enden, das Gesicht voller eiternder Schwären, dazu verurteilt, allmählich zugrunde zu gehen oder vielmehr sich in Fleischfetzen aufzulösen, während ihre Seele und ihr Verstand noch inmitten der grauenvollen Verrottung weiter existieren. – Aber was haben Sie, Monsieur Diderot? Möchten Sie vielleicht einen Schluck Wasser?«
    Ohne die Antwort abzuwarten, nahm Sartine die Karaffe, die auf seinem Schreibtisch stand, und schenkte Diderot ein. Der trank das Glas in einem Zug aus, in großen, gierigen Schlucken wie ein Verdurstender. Danach fühlte er sich ein wenig gestärkt.
    »Ich kenne einen weit schlimmeren Tyrannen«, sagte er. »Dieser Tyrann ist wie ein wildes Tier, das seine Zunge in Menschenblut getaucht hat und jetzt nicht mehr davon lassen kann. Ich weiß, dass es diesem Tier an Nahrung fehlt und es sich darum auf die Philosophen stürzt. Ich weiß, dass es die Augen auf mich gerichtet hat und dass ich vielleicht der Erste sein werde, den es verschlingt. Wo immer Widerstand sichregt, schreibt es den Verteidigern der Wahrheit die Schuld an den Unruhen zu, nur weil wir Philosophen uns die Freiheit nehmen, seine Dummheit zu bemerken. In was für einem Land leben wir? Ein ehrlicher Mann kann in vierundzwanzig Stunden sein Vermögen und seine Ehre verlieren, weil es keine Gesetze gibt, er kann seine Freiheit verlieren, weil die Regierenden voller Argwohn sind, und sein Leben, weil sie das Leben eines Bürgers für nichts rechnen und sich durch Schreckenshandlungen von der Verachtung zu befreien suchen. Ja, sie treiben die Scheußlichkeit sogar bis zu der Behauptung, man halte Schaden von Frankreich fern, solange man nur Bücher verbrenne …«
    Sartine blickte ihn so eindringlich an, dass Diderot verstummte.
    »Haben Sie sich darum für die Freilassung

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