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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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spreche. Jedes Jahr wird sie schwanger, und ich muss die Bälger ins Findelhaus bringen.« Er wandte sich ab und ging weiter. »Ein Mann von deinem Talent! Ein Genie, das allein mit seiner Feder Geschichte machen kann! Verrät sein Werk für ein paar Silberlinge! Was für ein erbärmlicher Gedanke!«
    »Was soll ich deiner Meinung nach tun?«
    »Was fragst du mich? Frag doch deinen geliebten d’Alembert.«
    Während er den Namen aussprach, verzog Rousseau das Gesicht, als würde er jetzt erst den Gestank wahrnehmen, der von den Taxushecken ausströmte. Diderot stutzte: War das der wahre Grund von Rousseaus Aufregung? Weil Le Bréton nicht ihm, sondern Diderot und d’Alembert die Herausgeberschaft der Enzyklopädie angetragen hatte?
    »Wie wäre es, wenn du die Artikel zum Thema Musik schreiben würdest?«, fragte Diderot vorsichtig. »Du könntest dein neues System der Notenschrift darin vorstellen, die ganze Welt würde davon erfahren.«
    Rousseau winkte ab. »Le Bréton ist ein Verleger, und die Verleger hassen mich. Sie sind zu dumm, um mich zu verstehen. Meine Ideen überfordern diese Geldsäcke.«
    »Die Enzyklopädie bietet allen großen Ideen Asyl. Voltaire hat schon zugesagt, außerdem Buffon und Montesquieu.«
    »Voltaire?«, schnaubte Rousseau. »In zehn Jahren wird sich kein Mensch an den alten Schwätzer erinnern!«
    Ohne weitere Erklärung verschwand er hinter einer Hecke, so abrupt, dass Diderot nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen.
    »Herrgott, womit habe ich das verdient?«Rousseau stand leise fluchend in einer Ecke und versuchte, seine ewig gereizteBlase zu entleeren. »Ah – endlich …« Diderot hörte ein leises Plätschern. »Hat sie wenigstens große Brüste?«, fragte Rousseau über die Schulter.
    »Große Brüste? Wen meinst du?«, fragte Diderot überrascht zurück.
    »Die Frau, für die du deine Seele verkaufst. Große Brüste sind wichtig. In Venedig hat mich mal eine Hure bezaubert, mit allen Künsten ihres Metiers, aber als ich sie nackt sah, schlug ich die Hände vors Gesicht und weinte. Nicht, was du glaubst«, erklärte er unwirsch, als Diderot grinste. »Ich hielt eine Missgeburt im Arm! Sie hatte eine Knabenbrust. Unfähig, ein Junges zu säugen.
Dagegen
hat mein Körper revoltiert!«
    Es plätscherte ein letztes Mal.
    Während Rousseau den Hosenlatz zuknöpfte, sagte er plötzlich: »Wenn ich bei dieser Enzyklopädie je mitmachen sollte, dann nur unter einer Bedingung …«
    Diderot horchte auf. »Nämlich?«
    »Dass du mich darum bittest, als Freund. Ich würde es nicht fertig bringen, dich im Stich zu lassen.«
    »Dann bitte ich dich hiermit feierlich«, rief Diderot. »Und wenn du willst, falle ich vor dir auf die Knie.«
    Er machte Anstalten, seinen Worten Taten folgen zu lassen, doch Rousseau hielt ihn großmütig zurück.
    »Am besten«, sagte er, »ich schreibe die Vorrede zu dem Ganzen. Damit die Leser begreifen, worum es geht. Dass die Gesellschaft sich ändern muss, radikal, in allen Belangen, von Grund auf …« Statt den Satz zu Ende zu sprechen, wechselte er abermals das Thema: »Kannst du mir vielleicht zehn Sous leihen? Als Vorschuss auf mein Honorar? Thérèse hat gesagt, ich soll Brot mitbringen.«
    »Hier hast du eine Livre«, sagte Diderot glücklich und drückte ihm die Münze in die Hand.
    »Glaub ja nicht, dass ich dir Dank dafür schulde«, erwiderte Rousseau, während er das Geld in seiner Tasche verschwinden ließ. »Ich habe dir nur Gelegenheit zu einer Wohltat gegeben. Aber sag mal, was war das eigentlich für ein Manuskript, das du im ›Procope‹ unterm Arm hattest?«

13
     
    Der Nachhall von Millionen Wörtern hing noch zwischen den schwarzen Deckenbalken des Café »Procope«, und die niedrigen, pastellgelben Wände waren gesättigt von den Gedanken und Gesprächen des Tages, als Sophie die schweren, mit rotem Leder bezogenen Stühle auf die mächtigen Eichentische wuchtete. Die Lampen waren heruntergebrannt, und die letzten Gäste verließen das Lokal. Dann war Sophie allein in dem großen, dunklen Raum, in dem die Schatten nach und nach die Reste des Lichts verzehrten.
    Wie lange hatte sie auf diesen Augenblick gewartet! Statt die Eichentür zu verriegeln, wie es ihre Aufgabe war, eilte sie an den Tresen, kaum dass der letzte Besucher auf der Straße war. Dort, in der Ablage unter der Arbeitsfläche, lag der Stapel Papier, der ihre Aufmerksamkeit auf sich zog wie ein Leimstreifen die Stubenfliegen. Immer wieder hatte sie während der

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