Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
gut mit der Kakaomasse vermischt, so füge man ein feines Pulver aus zerstampften und gesiebten Vanilleschoten und Zimtstängeln hinzu …‹« Kopfschüttelnd legte er das Manuskript beiseite und blickte Diderot an. »Kannst du mir sagen, weshalb du damit deine Zeit vergeudest?«
    »Das ist keine Zeitvergeudung«, widersprach Diderot. »Ich will meinen Lesern nur mitteilen, was mir selber täglich Genuss bereitet. Außerdem ist Schokolade ein wertvolles Nahrungsmittel. Eine Tasse kostet sechs Sous – die angenehmste und billigste Möglichkeit, sich bis zum Abend bei Kräften zu halten.«
    »Was für eine kolossale Weisheit«, höhnte Rousseau. »Woher hast du sie? Von Plato? Von Aristoteles? Oder von deiner Krämerin an der Ecke?«
    »Alles gehört zusammen, Jean-Jacques, die philosophische Aufräumarbeit in den Köpfen genauso wie solche kleinen Dinge, die das Leben leichter machen.«
    »Und dein eigenes Werk? Dein Genie? Wie viel Pfund Schokolade ist es wert?«
    Die plötzliche Erinnerung an die Romane und Dramen, die er wegen der Enzyklopädie nicht schrieb, verdarb Diderot für einen Moment die Laune. Doch er hatte die passende Antwort parat.
    »Hast du den
Blindenbrief
vergessen? Voltaire hat ihn schongelesen und mir geschrieben. Er überschüttet mich mit Lob und lädt mich zu einem Philosophenessen ein.«
    »Wer hat dem alten Schwätzer dein Buch geschickt? D’Alembert?« Misstrauisch wie eine eifersüchtige Ehefrau schielte Rousseau ihn an. »Wenn du die Einladung annimmst, kündige ich dir die Freundschaft.«
    »Bist du mich deshalb besuchen gekommen?«
    »Natürlich nicht! Ich wollte mit dir ins ›Procope‹ gehen, um über die Vorrede zu sprechen. Ich habe gestern einen Entwurf gemacht, du wirst begeistert sein. Aber was ziehst du auf einmal für ein Gesicht?«
    Die Frage war berechtigt. Diderot war so irritiert, als hätte ihm jemand saure Milch in die Schokolade geschüttet.
    »Ins ›Procope‹?«, fragte er. »Nein, auf keinen Fall. Gehen wir ins ›Régence‹, von mir aus auch ins ›Gradot‹, aber nicht ins ›Procope‹.«
    »Und warum nicht? Früher musste es immer das ›Procope‹ sein, als gebe es kein anderes Café in Paris.« Verärgert runzelte Rousseau die Stirn. Dann aber ging ihm ein Licht auf. »Ach so – immer noch wegen der kleinen Serviererin?«

4
     
    »Noch ein Stück Braten?«, fragte Sophie.
    Ihr Sonntagsgast, Monsieur Cocheron, schüttelte den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel seines Rocks das Fett von den Lippen. Sophie war der Mann, der jeden Sonntagabend bei ihnen zu Tisch saß, von ganzem Herzen zuwider. In seinerNähe verschlug es ihr fast den Atem, so streng roch er aus den Poren – wie ein brunftiger Eber.
    »Aber Sie können unmöglich schon satt sein!«, rief Sartine.
    »Kommen Sie, nehmen Sie noch eine Portion! Sonst denkt meine Frau, Sie mögen nicht, was sie kocht.«
    »Unmöglich.« Cocheron stieß einen Rülpser aus und stand auf. Sophie räumte den Tisch ab. Ihr Mann war auf die Idee gekommen, sonntags einen Kostgänger zu Tisch zu laden, der ihnen zehn Livres im Monat zahlte. Auf diese Weise ein wenig Geld zu verdienen war nichts Ungewöhnliches; viele Leute taten das. Trotzdem störte es Sophie: Wo war Sartines Großzügigkeit geblieben, zumal er inzwischen zum Kriminalinspektor befördert worden war? Vor allem aber störte es sie, dass an ihrem einzigen freien Abend ein fremder Mensch bei ihnen am Tisch saß.
    »Bis nächste Woche«, sagte Cocheron in der Tür.
    »Bis nächste Woche«, erwiderte Sartine. »Und bringen Sie ein bisschen mehr Appetit mit!«
    Endlich waren sie allein! Sophie legte ihre Schürze ab und öffnete das Fenster, um zu lüften. Die Straße draußen war voll von Menschen, die wie jeden Sonntagabend von ihren Ausflügen zurückkehrten, Familien mit Großeltern, Dienstboten und Kindern, dazu Scharen junger Leute, Arbeiter und Handwerker, die ihre Mädchen in den Armen hielten, müde vom Tanzen und Feiern, doch mit roten, lachenden Gesichtern. Während Sophie die frische Luft einatmete, die mit den Ausflüglern vom Land nach Paris zu strömen schien, blickte sie zu ihrem Mann hinüber.
    Wie würden sie den Rest des Abends verbringen? Ob Sartine heute einmal seine Scheu überwand? Sie hatte sich extra für ihn das Haar gewaschen, in aller Herrgottsfrühe, noch bevoreraufgewacht war. Vielleicht sollte sie ihn bitten, ihr beim Aufwickeln der Wolle zu helfen, damit er es bemerkte. Bis zur Nachtruhe hatten sie noch mehrere Stunden

Weitere Kostenlose Bücher