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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Louis-Stanislas, den Dauphin, der mit frommem Pferdegesicht in sein Gebetbuch vertieft war. Die zwei waren seine wichtigsten Verbündeten. Würde es mit ihrer Hilfe gelingen, das nötige Bollwerk zu errichten?
    Radominsky tat einen tiefen Seufzer. Worauf sollte eine solche Hoffnung gründen? Der König war ein willenloses Geschöpf in den Händen einer Hure, die offen mit den Ideen der Aufrührer kokettierte und auf schamlose Weise die Libertinage des Geistes mit der des Fleisches verknüpfte. Um dem Schicksal ihrer Vorgängerinnen zu entgehen, die sich jeweils nur wenige Monate der Gunst des Herrschers hatten erfreuen dürfen, hatte die Pompadour den Liebesdienst an Ludwig unter vollkommener Hintanstellung ihrer eigenen Bedürfnisse organisiert. Dabei ersetzte sie ihr mangelndes natürliches Feuer durch strenge Wissenschaftlichkeit. Es war am ganzen Hof bekannt, dass ihr Leibarzt, Dr. Quesnay, ihr allerlei Mittel verabreichte, um ihre Leidenschaft zu entfachen, und zusammen mit ihrem königlichen Buhlen las sie die obszönsten Werke, die in Paris gedruckt wurden und mit denen Malesherbes in seiner Eigenschaft als oberster Zensor des Reiches sie jeden Mittwoch versorgte. Ja, sie hatte Ludwig sogar ein regelrechtes Serail eingerichtet oder, wie sieselbst es ungeniert nannte, ein Laboratorium der Liebeskunst.
    Noch keine Mätresse des Königs war je auf diesen Ausweg verfallen, die Unzulänglichkeiten des eigenen Leibes mit Hilfe fremder Liebesdienerinnen auszugleichen. Im Hirschgraben, einem kleinen Pavillon von Versailles, scharte die Pompadour die lüsternsten Geschöpfe um sich, die ihr Leibkammerdiener aus Paris besorgte wie der Küchenmeister Wildbret aus den Wäldern der Umgebung für die Speisekammer des Hofes. Zierliche und Große, Aufgeputzte und Bescheidene, Gefügige und Widerspenstige, Niedliche und Stolze, Hitzige und Bleiche – alle Metamorphosen Evas waren in dem neuen Lustschloss versammelt, das wie kein zweites diesen schändlichen Namen verdiente. Mit Hilfe dieses Serails behielt die Pompadour die Herrschaft über den König und Frankreich in ihren schlanken Händen; der Eintrag ihrer Tochter in den Hofalmanach war nur eine von vielen Bestätigungen.
    Dieser Machtfülle der Favoritin stand die Königin ganz und gar ohnmächtig gegenüber. Sieben Jahre älter als ihr Gemahl, hatte Maria Leszczynska Frankreich zehn Kinder geschenkt und war vollkommen verblüht. Mit ihren fast fünfzig Jahren verriet sie nichts mehr von dem wenigen Liebreiz, den Gott ihr einst vielleicht verliehen hatte. Nach anfänglichem Kummer wegen der Affäre ihres Mannes hatte sie sich damit abgefunden, nicht die einzige Frau in Ludwigs Leben zu sein, und sich ganz vom Lärm des Hofes zurückgezogen – die weltlichen Vergnügungen, so hatte sie Radominsky anvertraut, seien nicht für sie geschaffen. Eingeschlossen in ihren Gemächern inmitten des von fiebernden Frivolitäten erfüllten Palastes, folgte ihr Dasein dem gleichförmigen Stundenablauf einer Klosteruhr. Sie verbrachte die Vormittage mitGebeten und erbaulicher Lektüre, anschließend malte sie ein wenig, ging sodann zur Messe und besuchte ihren Gemahl. Am Nachmittag fertigte sie Handarbeiten für Bedürftige an, bevor am Abend der Höhepunkt ihres Tages kam: Verlassen von allen jungen Leuten ihres Gefolges, die in die Appartements ihrer Rivalin flohen, versammelte sie ihren kleinen Hof um sich, der aus greisen Kardinälen, verwelkten Jungfern und ihrem frommen Sohn bestand. Wie sollte es dieser Königin gelingen, ihren Mann aus den Fängen der Pompadour zu befreien?
    Der Kardinal von Luynes wachte mit einem so lauten Schnarcher auf, dass Radominsky aus seinen Gedanken aufschrak. Schuld an der Unruhe war Monsieur de Malesherbes, der von einem Lakaien in den Raum geführt wurde und nun mit einer Verbeugung der Königin seine Referenz bezeugte.
    »Ihr untertänigster Diener, Majestät.«
    Er war noch über Marias Hand gebeugt, als sein Blick auf Radominsky fiel.
    »Was lesen Sie da,
mon père?
Die Enzyklopädie? Respekt! Ich habe mein Exemplar noch nicht einmal aufgeschnitten.«
    »Dann wird es höchste Zeit«, erwiderte der Pater. »Anstatt die Aufforderung zu seiner eigenen Vernichtung mit aller Strenge zu verfolgen, zeichnet der Staat sie mit dem königlichen Druckprivileg aus. Wenn irgendein Wirrkopf diese Hetzschrift zu lesen bekommt – die Folgen sind nicht auszudenken!«
    »Ich bedaure«, antwortete Malesherbes, »aber mir sind die Hände gebunden. Die Herausgeber

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