Die Philosophin
lösten, »wer den Artikel geschrieben hat?«
Diderot schaute sie ungläubig an. »Willst du etwa sagen …«
»Ja, Liebster, letzte Nacht. Du warst so weit fort, und ich wusste nicht, wie ich es aushalten sollte ohne dich.«
Sie wollte ihn noch einmal küssen. Doch er wehrte ihre Umarmung ab.
»Was hast du?«, fragte sie irritiert.
Diderot wirkte plötzlich sehr ernst. »Dein Artikel ist wunderbar, einer der besten, die ich bisher überhaupt bekommen habe. Aber …«
Statt den Satz zu Ende zu sprechen, schaute er sie an. Aus seinen blauen Augen war jede Zärtlichkeit verschwunden.
»Aber
was?«,
wollte Sophie wissen. »Los, sag schon!«
Diderot zögerte. »Ich kann den Artikel nicht drucken«, erklärte er dann.
»Das ist nicht dein Ernst!«, rief sie und versuchte zu lachen.
»Doch«, erwiderte er. »Die Leser würden eine Frau als Verfasserin niemals akzeptieren.«
Das Lachen blieb ihr im Hals stecken. Tatsächlich, es war sein Ernst, sie sah es an seinem Gesicht. Sophie musste schlucken. Sie hatte insgeheim gehofft, dass Diderot das Zeugnis ihrer Liebe in die Enzyklopädie aufnehmen würde, doch er dachte gar nicht daran. Noch nie hatte er sie so enttäuscht.
»Eben hast du noch den Menschen beneidet, der solche Liebe erfährt«, sagte sie leise.
Er nahm ihre Hand. »Du musst das verstehen«, sagte er. »Ich habe die Enzyklopädie schon einmal fast ruiniert, mit meinem Roman – wir sind nur um ein Haar davongekommen. Ein solcher Fehler darf sich nicht wiederholen. Gerade jetzt nicht, wo wir so großen Erfolg haben.«
»Ist der Erfolg das Einzige, was zählt?«
»Herrgott, Sophie – red doch nicht wie ein Kind! Ich habe alles für die Enzyklopädie geopfert, kaum noch etwas anderes geschrieben, seit ich damit angefangen habe, meine ganze Kraft steckt darin. Verstehst du das denn nicht?« Und als sie schwieg, fügte er hinzu: »Die Enzyklopädie bedeutet mir alles, mehr als mein Leben.«
»Dann ist mein Manuskript also nichts wert?«, rief Sophie.
»Mein Manuskript – und meine Liebe?« In ihre Enttäuschung mischte sich Wut. Das Glück, das sie eben noch empfunden hatte und von dem sie glaubte, es mit ihm zu teilen,hatte er einfach fallen lassen wie ein unachtsamer Gast im Kaffeehaus ein Glas, und nun lag es zerbrochen am Boden. Sie war nicht bereit, das hinzunehmen, auch auf die Gefahr hin, dass sie sich mit ihm streiten musste. Wenn er Streit haben wollte – bitte sehr, dann sollte er ihn haben!
Sie machte sich von ihm los und trat einen Schritt zurück.
»Wenn das so ist, tut es mir Leid, dass ich dir den Text überhaupt gezeigt habe …«
»Pssst …!«, machte er und legte ihr einen Finger auf die Lippen.
Statt einer Antwort biss sie zu.
»Bist du verrückt geworden?«
»Wenn du mir den Mund verbieten willst!«
»Jetzt hör erst mal zu, verdammt noch mal! Ich glaube, ich habe eine Idee.«
»Wirklich? Da bin ich aber gespannt.«
»Also, eine Frau kommt als Autorin der Enzyklopädie nicht in Frage. Dabei bleibt es, keine Diskussion! Aber«, fuhr er fort, als er sah, dass sie protestieren wollte, »müssen wir denn den Lesern verraten, dass eine Frau den Artikel geschrieben hat?«
»Wie stellst du dir das vor? Soll ich mich etwa verkleiden?«
»Du dich nicht, aber was ist mit deinem Namen?«
»Ich verstehe kein Wort!«
Diderot betrachtete seinen Finger. »Wie wäre es, wenn dein Artikel unter dem Namen eines Mannes erscheint? Irgendeines meiner Mitarbeiter? Wie gefällt dir zum Beispiel der Name Jaucourt?« Er blickte von seinem Finger auf und grinste sie an. »Was meinst du, wäre das eine Lösung?«
9
Von diesem Tag an schrieb Sophie regelmäßig Artikel für die Enzyklopädie.
Bei der Auswahl der Themen ließ Diderot ihr freie Hand. Er meinte, die beste Voraussetzung, um andere Menschen für ein Thema zu interessieren, sei das eigene Interesse. Also beschäftigte Sophie sich mit solchen Fragen, über die sie selbst gern mehr erfahren wollte. Sie schrieb über die Arbeit von Hebammen und über die Mode, über Eifersucht und über das Schnarchen. Dabei legte sie so großes Talent an den Tag, dass Diderot ihr mit der Zeit immer bedeutendere Aufgaben anvertraute, und da sie in ihren Beiträgen eine außergewöhnliche Sicherheit in Ausdruck und Stil bewies, zog er sie bald auch zur Redaktion fremder Beiträge heran. Sie überarbeitete Artikel über die Nächstenliebe, über das Hübsche und das Hässliche – und schließlich sogar Artikel über Fragen der Philosophie und
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