Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
Kreaturen immer wieder siehst. Ruthie hat einmal gesagt, sie könne anhand des Klangs und der Lautstärke der Stimmen, die sie in ihrem Kopf hört, zwischen Gut und Böse unterscheiden.“
„Na prima“, murmelte ich.
„Du wirst etwas Übung und Erfahrung brauchen. Aber jetzt müssen wir uns erst einmal mit Springboard treffen.“
„Die warten auf dich in City High.“
„Glaubst du?“
Ich widerstand der Versuchung, ihm einen Schlag zu verpassen. Darin wurde ich zunehmend besser. „Wo treffen wir uns denn?“
Ohne mir eine Antwort zu geben, schlüpfte er aus der Sattelkammer und schloss die Tür hinter sich.
Schnell war ich ihm hinterhergesprungen, aber schnell war bei Jimmy eben nicht schnell genug. Er hatte die Tür nicht nur zugeworfen, sondern auch abgeschlossen.
Mit beiden Fäusten schlug ich gegen das Holz. „Was zum Teufel soll das?“
„Du musst bleiben, wo du bist, Lizzy. Die wissen, wo du wohnst. Hier bist du sicher, und bis zu dem Treffen bin ich wieder zurück.“
„Du kannst mich hier doch nicht zurücklassen.“
„Ich glaube, das habe ich gerade getan.“ Seine Stimme wurde immer leiser.
„Sanducci!“ Wieder schlug ich gegen die Tür. „Lass mich raus!“
Nichts als Schweigen.
Hatte er etwa geglaubt, dass ich noch nie eingesperrt gewesen war? Im Nu würde ich draußen sein.
Und dann?
Jimmy hatte recht. Zurück zu mir nach Hause konnte ich nicht. Im Moment jedenfalls nicht, vielleicht nie mehr.
„Gibst du mir irgendeinen Rat?“, fragte ich den leeren Raum. „Oder besuchst du mich nur in meinen Träumen?“
Während ich Selbstgespräche führte, sah ich mich nach einem passenden Werkzeug für das Türschloss um. Ich fluchte leise, als es beim Anknipsen des Lichtschalters dunkel blieb. Entweder war der Schalter defekt oder der Strom abgestellt. Wahrscheinlich Letzteres. Wer brauchte schon Strom auf einem alten, verlassenen Hof? Licht zu machen wäre im Grunde schlimmer als eine blinkende Neonreklame mit dem Text: Hier bin ich. Kommt und holt mich!
Das einzige Fenster des Raums lag zum Westen hin und war klein und sehr weit oben. Die Sonnenstrahlen färbten das schmutzige Glas rosa, rot und orange. Dahinter war der Himmel leuchtend blau, aber dunkel. Es würde nicht mehr lange hell sein.
Ich untersuchte den Türgriff. Er war neu und glänzte, und selbst mit dem richtigen Werkzeug würde ich ihn nicht knacken können. Sanducci kaufte nur das Beste, das hätte ich mir doch denken können.
Frustriert rüttelte ich an der Tür.
Und das Rütteln wurde auf der anderen Seite erwidert.
10
S anducci?“
Auf der anderen Seite der Tür grollte etwas. Aber es war kein menschliches Grollen. Es hörte sich vielmehr nach…
Rrrarrrr!
„Katze“, murmelte ich. „Und eine verdammt große.“
Das Ding schlug gegen die Tür, ließ dann ein Fauchen hören, kratzte am Holz, wollte mit allen Mitteln zu mir gelangen.
Ich fühlte mich völlig ausgeliefert, stand mit leeren Händen da. Wo war nur das verdammte Messer? Mit den Augen suchte ich den Boden ab. Vom Licht drang nur noch ein fahles Grau durch, das mit rosa Streifen durchzogen war. Sah schön aus und war sicher ausgezeichnet dafür geeignet, seinen Tagträumen nachzuhängen, wenn man dafür Zeit gehabt hätte. So wie mein Leben gerade verlief, würden Tagträume bald nur noch eine liebe Erinnerung sein. Albträume waren von nun an mehr meine Abteilung.
Zunächst konnte ich das Messer nirgends entdecken, und ich fürchtete schon, Jimmy habe es mitgenommen. Dann aber sah ich, dass die letzten Sonnenstrahlen von etwas Blitzendem unter dem Bett reflektiert wurden.
Ich ließ mich auf die Knie fallen und fasste danach. Mit dem vertrauten Gewicht des Messers in der Hand fühlte ich mich gleich besser, auch wenn noch Reste von Jimmys Blut an der Schneide klebten. Als ich mich umdrehte, hatte ich genau die Tür im Blick, durch die sich die riesige Bestie krachend einen Weg zu bahnen versuchte. Mitten durch das Holz zog sich ein Riss wie durch eine geplatzte Wassermelone.
„Na großartig.“
Ich warf einen raschen Blick auf das Messer. Mit Silber konnte man den meisten Gestaltwandlern den Garaus machen. Das hatte ich quasi aus erster Hand erfahren. Ich war mir ziemlich sicher, dass es sich bei diesem Vieh um eine Variante des Berserkers handelte, den ich in meiner Wohnung beseitigt hatte. Aber vielleicht war es ja auch bloß eine Raubkatze.
Ich schnaubte. Bloß?
Das Ding fauchte wieder, und ich lauschte. Hörte sich nach einem
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