Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
Berglöwen an, obwohl es für diese Tierart ungewöhnlich war, so weit südlich durch das Land zu streifen. Und vor allem hier in die Scheune zu kommen; die Bestie hatte es ja regelrecht auf mich abgesehen. Dass mir ein Gestaltwandler wesentlich plausibler erschien, machte mir deutlich, wie sehr sich mein Leben verändert hatte. Als sich das Wesen erneut gegen die Tür warf, ächzte sie beunruhigend. Hier konnte ich nicht bleiben. Silbermesser hin oder her, wenn das Tier erst einmal in der Kammer war, würde es mich töten. Der Raum war einfach zu klein. Es würde mich jagen, und ich konnte mich nirgendwohin zurückziehen, hatte gar keinen Spielraum.
Bei dem Bären hatte ich einfach Glück gehabt. Ich bezweifelte, dass meine Glückssträhne andauern würde. Meine einzige Chance bestand darin, hier irgendwie herauszukommen, und dann konnte ich entweder weglaufen oder mich verstecken, und wenn das auch nichts half, konnte ich immer noch kämpfen. Forschend wanderte mein Blick durch den Raum.
Überall, nur nicht hier.
Ich hatte zwar mein Handy dabei, aber was würde mir das schon nutzen! Wen konnte ich anrufen, der mir das hier abkaufen würde! Und wen konnte ich anrufen, der dieses herumlungernde Wesen abmurksen würde, ohne selbst draufzugehen.
Außer Jimmy fiel mir niemand ein, und ausgerechnet seine Nummer hatte ich nicht.
Ich blickte zu dem einzigen noch für mich in Frage kommenden Ausgang hoch, dem schmalen Fenster an der Westseite, das sich ungefähr dreieinhalb Meter über dem Boden befand. Es würde nicht einfach sein.
Das Messer verstaute ich in der Gürteltasche, schleuderte die Schuhe von mir, und nachdem ich die Matratze vom Bett gezogen hatte, stellte ich das Gestell aufrecht an die Wand. Wenn ich oben draufstand, müsste ich eigentlich an einen der Dachbalken springen und mich hochziehen können. Von dort konnte ich dann auf das Fenstersims steigen und gemütlich aus dem Fenster spazieren. Ein Kinderspiel.
Aber was würde mich auf der anderen Seite erwarten? Ein steiler Absturz oder eine bequeme Regenrinne?
„Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden“, sagte ich zu mir selbst und kraxelte das Metallgestell hoch, bis ich oben thronte.
Der Klang meiner Stimme schien das Katzenbiest noch mehr aufzubringen, denn es schrie so fürchterlich, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Aber ich brauchte meine Hände für wichtigere Dinge.
Ich holte tief Luft, ging ein wenig in die Knie und betete noch einmal kurz – wenn ich nämlich danebengriff, konnte es gut sein, dass ich mit dieser ganzen metallenen Gerätschaft zu Boden ging und mir irgendeinen wichtigen Körperteil verstauchen oder brechen würde. Dann sprang ich.
Schon beim ersten Versuch erwischte ich den Balken. Ohne zu zögern, bog ich den Rücken durch und schwang die Beine darum, als sei er ein dicker Holm eines Stufenbarrens und ich mitten in einer Landesmeisterschaft.
Beim Aufschwung ging ein Holzsplitter direkt durch die Jeans in mein Bein. Ich spürte es kaum. Als ich mich hinstellte, war von unten ein erneutes Krachen zu hören und durch das immer größer werdende Loch in der Tür sah ich eine riesige goldene Tatze.
Ich musste zusehen, dass ich hier wegkam, bevor die Katze noch eindringen und mir folgen konnte. Dann hätte ich ein echtes Problem.
Nachdem ich mit den Augen Maß genommen hatte, balancierte ich so weit wie möglich zurück, beschleunigte auf diesen fünf Schritten und überbrückte den Abstand zwischen Balken und Sims mit einem Spagatsprung. Durch die Jeans wirkte die Bewegung etwas unbeholfen, aber schließlich gab es hier ja keine Kampfrichter außer mir selbst, und ich selbst hätte mir eine Zehn für den geglückten Sprung und eine Null für einen Absturz mit Tod durch einen Gestaltwandler gegeben.
Ein kurzer Blick sagte mir, dass das Fenster zum Melkhaus hinausging, das parallel zum Stall verlief. Ich löste die Verriegelung, drückte das Fenster auf und zwängte mich hindurch.
Während meiner Zurschaustellung turnerischer Höchstleistungen war die Nacht hereingebrochen. Der Mond schwebte am Rand der Erdkugel und hüllte den verlassenen Hof in silbriges Licht. Eilig rannte ich über das flache Dach des Milchhauses in der Annahme, ich könnte hinunterspringen, die Bestie in der Scheune einsperren und mit meinem Wagen nach Hause fahren.
Dann bliebe aber Jimmy auf dem Gestaltwandler sitzen – oder was auch immer dort statt meiner eingesperrt sein würde. Ich hatte keine Möglichkeit ihn zu
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