Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
die richtigen Gerätschaften in seinem rollenden Waffenarsenal hatte?
„Eins nach dem anderen“, murmelte er. „Erst einmal erschießen wir ein paar. Mal sehen, wie viel Staub wir damit aufwirbeln.“
„Das hört sich gut an.“ Ich marschierte los, doch er drängte mich zur Seite.
„Du bleibst gefälligst hinter mir.“
Ich stritt mich nicht mit ihm, sondern machte einfach einen Bogen um ihn und schloss dann wieder auf. „Wenn ich hinter dir gehe, dann erschieße ich womöglich dich, statt einen der Wölfe.“
„So blöd bist du nun auch wieder nicht.“
„Wer sagt denn, dass ich es aus Versehen tue?“
Er drängte mühsam ein Lachen zurück, und auch ich begann zu lächeln. Zumindest waren wir gut gelaunt, wenn die Werwölfe uns fanden.
Die Seitenstraße lag zwar im Dunkeln, doch der Horizont dahinter war von der herannahenden Dämmerung bereits in graues Licht getaucht, sodass sich die Silhouetten der schlaksigen Tiere deutlich davor abzeichneten. Irgendetwas stimmte mit diesen Schattenrissen aber nicht. Sie sahen fast aus wie Männer und einige auch wie Frauen, die sich lediglich auf allen vieren fortbewegten, mit gekrümmten Rücken und Köpfen, die hin- und herschwangen, als witterten sie ihre Beute schon. Auch schienen sie um einiges größer zu sein als herkömmliche Wölfe. Nicht dass ich außerhalb des Zoos von Milwaukee viel Kontakt mit Wölfen gehabt hätte.
Abgesehen von der Größe und den eigenartig menschlich anmutenden Schatten sahen sie aus wie Wölfe. In diesem Licht konnte ich die Schattierung des Fells nicht erkennen, doch die Augen glühten gelb.
„Hör erst auf zu schießen, wenn sie alle tot sind“, sagte Jimmy.
„Aber was ist…?“, begann ich, doch ich beendete meine Frage nicht.
Das war auch nicht nötig, denn meine Frage „Aber was ist, wenn sie nicht sterben?“ wurde beantwortet, als die erste Silberkugel den ersten Wolf durchbohrte. Er explodierte und hüllte seine Artgenossen rechts und links in Asche. Ihr wütendes Knurren erstarb jedoch sogleich, als wir die Meute mit unseren Kugeln durchlöcherten.
Der Lärm unserer Schusswaffen war ohrenbetäubend, denn um uns herum war nichts als Stein und Beton. Und der Morgen graute schon.
Plötzlich war es wieder totenstill. Vor uns lag nur noch ein Haufen Asche, in den der sachte Morgenwind hineinfuhr.
„Das Aufräumen ist ein Klacks“, sagte ich mit meiner reinsten Fünfzigerjahre-Hausfrauenstimme.
Jimmy beachtete mich gar nicht. Er ging an dem kleinen Haufen Werwolfasche vorbei, um einen Blick um die Ecke zu werfen. Ich versetzte meine Muskeln in Alarmbereitschaft, erwartete ein erneutes Abfeuern seines Gewehres, doch er schaute sich nur zu mir um und schüttelte den Kopf.
Die unheimliche Stille, die mir von Anfang an aufgefallen war, hielt auch weiterhin an. Hätte unser Herumgeballere nicht wenigstens ein paar der Einwohner herbeirufen müssen? Müssten sie jetzt nicht eigentlich in Scharen auf die Straßen strömen? Oder sich doch zumindest einmal bei uns oder den Nachbarn nach der Ursache des Lärms erkundigen?
„Bei Sonnenaufgang nehmen die Werwölfe wieder ihre menschliche Gestalt an“, sagt Jimmy mit Blick auf das leere Städtchen.
Ich schaute auf das kleine Stück Himmel zwischen den zwei Häusern, das bereits blaugrau erstrahlte.
„Lass uns weitermachen“, sagte Jimmy. „Es ist wesentlich leichter, einen Werwolf in Wolfs- als in Menschengestalt zu erkennen.“
Ich ging auf Jimmy zu, mied dabei aber geschickt die Haufen, die sich buchstäblich aus dem Staub machten. „Was verrät sie denn?“
„Hast du ihre Schatten gesehen?“ Ich nickte. „Bei Neumond ist es noch schwieriger. Werwölfe sind größer als gewöhnliche Wölfe, und ihr Gewicht entspricht dem ihrer menschlichen Pendants. Echte Wölfe, selbst die Timberwölfe in Alaska, wiegen selten mehr als hundertundzwanzig Pfund.“
„Es gibt auch viele Menschen, die nicht so viel wiegen.“
„Das stimmt.“
Ich runzelte die Stirn. „Also woher weißt du es denn jetzt?“
Er zuckte die Achsel. „Wenn ich einen Wolf sehe, knall ich ihn ab.“
Vor Staunen blieb mir der Mund offen stehen. „Ja, aber ich dachte, Wölfe sind vom Aussterben bedroht oder geschützt oder wie auch immer.“
„Willst du mich jetzt verhaften, oder was?“
Eine Weile schwieg ich. Der Gedanke, jeden Wolf, der mir über den Weg lief, über den Haufen schießen zu müssen, gefiel mir nicht sonderlich. Aber hatten wir denn überhaupt eine Wahl?
Etwa die
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