Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
erhob mich und ging zum See. Zuerst spritzte ich mir nur Wasser ins Gesicht, schließlich tauchte ich meinen Kopf so lange unter, bis der Regenbogen vor meinen Augen verschwunden war. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich nackte Füße neben mir. Er stand so nah bei mir, dass ich beim Hochkommen beinahe mit der Nase seinen Schwanz gestreift hätte.
„Kein Wunder, dass ich keine Waffe mitnehmen durfte. Du wusstest genau, dass ich dich sonst jetzt umbringen würde.“
Seine Wunde blutete nicht mehr, und sie schien direkt hier vor meinen Augen zu heilen. Ich dachte daran, was Jimmy gesagt hatte. Er sei nicht leicht zu töten. Die Knarre hätte mir wahrscheinlich keinen guten Dienst erwiesen.
„Gestern Nacht hat es dich aber nicht gestört“, sagte Sawyer. „Gestern Nacht hat es dir gefallen.“
Ich holte zu einem Schlag aus. Diesmal duckte er sich, schnappte mich, bevor ich ins Wasser fallen konnte, und drehte mir dann schmerzhaft den Arm auf den Rücken. Ich biss mir auf die Lippen und gab keinen Mucks von mir.
„Siehst du jetzt endlich ein, dass ich anders bin?“, flüsterte er mir ins Ohr. Beim Sprechen berührten seine Lippen mein Ohrläppchen, und unweigerlich musste ich an Dinge denken, die ich eigentlich vergessen wollte, nach denen ich mich aber auf erschreckende Weise sehnte. Zwar war er ein Fellläufer wie sein Vater, doch es war auch viel von seiner Mutter in ihm.
Warum hatte er mich unter Drogen gesetzt? War er so ausgehungert nach Sex? Das konnte ich mir schlecht vorstellen. Vielleicht hatte sein Stamm ihn verstoßen, aber er sah göttlich aus – zumindest äußerlich. Und die meisten jungen, unerfahrenen Dinger scherten sich wohl kaum um innere Werte. Wenn es ihm nur um Sex gegangen war, den hätte er überall mühelos haben können.
Es ging ihm also darum, Sex mit mir zu haben. Aber warum? Er liebte mich nicht. Man konnte unmöglich jemanden lieben, mit dem man diese Dinge tat. Doch wenn ich mir sein bisheriges Leben so ansah, dann bezweifelte ich, dass er von Liebe viel verstand.
Nicht dass ich selbst eine Expertin darin war.
Jetzt zog er noch etwas fester an meinem Arm und lenkte damit meine Aufmerksamkeit wieder auf unsere Probleme. Und davon hatten wir mehr als genug.
„Okay“, sagte ich einlenkend. Er sollte mich endlich loslassen, damit ich nicht mehr daran denken musste, was es für ein Gefühl war, als er sich in mir bewegte. „Du bist böse. Zufrieden?“
Er wurde ganz steif, aber nicht, als sei er erregt oder wütend, sondern als habe er etwas gesehen oder gehört.
„Eigentlich nicht“, murmelte er und lockerte seinen Griff.
Ich stolperte davon und drehte mich dann blitzschnell um. Aber er schaute mir überhaupt nicht hinterher, sondern starrte auf die undeutlichen Umrisse der Baumwipfel im Norden.
Von dort kam ein Heulen, auf das ein weiteres Heulen wie eine Antwort folgte. Nein, etwas war dort ganz und gar nicht in Ordnung. Ein höllisches Heulkonzert ertönte jetzt.
Sawyer murmelte einige Wörter auf Navajo, die nicht nach einer freundlichen Begrüßung klangen.
„Was ist los?“
„Ich hatte gehofft, mehr Zeit zu haben.“
Ich kniff die Augen zusammen. „Wofür? Wenn du dir einbildest, du könntest mir noch mal Drogen einflößen und…“
„Kojoten heulen nur nachts“, sagte er.
„Na ja“, sagte ich verunsichert. „Reiner Zufall.“
Die Bäume wurden von einem plötzlichen Wind erfasst; die Blätter raschelten, als auf der Lichtung mehrere dürre Tiere mit grau-braunem Fell auftauchten. In ihren Augen spiegelte sich das Sonnenlicht wie poliertes Elfenbein.
Oder doch kein Zufall?
„Wenn Kojoten nur nachts heulen“, murmelte ich, „was sind denn das hier?“
„Mehr als Kojoten.“
Genau das hatte ich befürchtet.
Sawyer stand dem Rudel gegenüber, es schienen Kojoten zu sein, obwohl ich noch nie so große Exemplare gesehen hatte. Wahrscheinlich weil sie zur Gattung „mehr als“ gehörten. Ich buchte sie unter Gestaltwandler ab.
Aus Erfahrung wusste ich bereits, dass manche Gestaltwandler auf unserer Seite waren, wie Springboard. Aber andere, wie der Berserker, wollten uns tot sehen. Oder zumindest mich.
Ich musste nicht lange raten, auf wessen Seite diese Meute hier war, denn sie bildeten einen Halbkreis und schnitten uns damit jeden Fluchtweg ab. Hinter mir lag zwar der See, doch wahrscheinlich hätten wir um unser Leben schwimmen können, und sie wären uns trotzdem gefolgt. Und ich war nicht besonders gut darin, gleichzeitig um mein
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