Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
„Oh, ganz im Gegenteil.“
So wie er es sagte, klang es, als hätte er es schon besser erlebt, und dafür hätte ich ihn am liebsten geschlagen. Für mich war es letzte Nacht nämlich der beste Sex gewesen, den ich je hatte. Das machte mich…
Bemitleidenswert? Verwirrt? Wütend? Gereizt?
„Das war eine Vergewaltigung“, knallte ich ihm um die Ohren.
„Ich habe dich zu nichts gezwungen, was du nicht selbst wolltest. Das Ya’lid wird bei den Navajos benutzt, um das wahre Verlangen hervorzubringen.“ Er senkte die Stimme, und ich musste mich anstrengen, um ihn zu verstehen. „Von tief unten, wo dieses Verlangen sitzt.“
Weil seine Worte diesen Teil tief unten bei mir zum Pulsieren brachten, fuhr ich ihn an: „Das behauptest du.“
„Wenn du glauben möchtest, ich hätte dich vergewaltigt, nur zu.“ Er stand auf, erwischte mich bei den Handgelenken und zerrte mich zu sich hin. „Das ändert weder etwas, noch, warum es passiert ist.“
Vergeblich sträubte ich mich gegen ihn. Er würde mich erst loslassen, wenn er mit mir fertig war.
„Ich bin ein telepathischer Katalysator.“
Ich hörte sofort auf, mich gegen ihn zu wehren, und suchte in meinem Kopf nach lang verschollenem Wissen. „Du bringst verborgene Fähigkeiten in anderen hervor.“
„Ja.“
„Und wie?“
Er zog die Brauen in die Höhe. „Was glaubst du denn?“
Sex.
In meinem Geist hörte ich das Wort so klar und deutlich, als hätte er es laut ausgesprochen.
Leichte Enttäuschung überfiel mich, dicht gefolgt von einem Gefühl der Scham über meine eigene Dummheit. Hatte ich tatsächlich gehofft, dass er mich unter Drogen gesetzt hatte, weil er es nicht mehr abwarten konnte, mir ans Höschen zu gehen? Offenbar hatte ich das, und zwar tief dort unten, wo die geheimen Sehnsüchte schlummerten.
„Du vögelst für die Föderation?“
Ich hatte erwartet, dass er blass werden und mich loslassen, vielleicht sogar ohrfeigen würde. Jedenfalls war ich überrascht, als er nur achselzuckend sagte: „Irgendjemand muss es ja tun.“
Diesmal gab er meinem Sträuben nach und ließ mich los. „Mit welcher Fähigkeit hatte es denn so eine große Eile? Dem Gestaltwandeln?“
Sawyer runzelte die Stirn, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schüttelte dann aber den Kopf und sagte stattdessen etwas anderes. „Ruthie hat dir ihre Gabe vermacht, das Hellsehen. Die Fähigkeit klar zu sehen.“
„Die Zukunft? Die Vergangenheit?“
„Die wahren Identitäten und übernatürlichen Eigenschaften der Nephilim. Du hast diese Gabe jedoch teilweise blockiert. Wahrscheinlich wegen deiner angeborenen psychometrischen Fähigkeiten. Sehen durch Berühren, das war deine Gabe. Du musst jetzt lernen, auf eine andere Weise zu hören und zu sehen. Dafür musstest du dich öffnen.“
„Kannst du nicht mal ’ne neue Platte auflegen?“, murmelte ich. Er ignorierte mich einfach.
„Ich hatte gehofft, du würdest dich auch ohne Sex öffnen, aber du warst wieder genau so stur wie beim ersten Mal.“
„Tut mir echt leid, dass ich nicht so offen bin.“ Beim vorletzten Wort malte ich Fragezeichen in die Luft. Ich hatte so meine Probleme mit dem Vertrauen. Bei Jimmy und Sawyer war das wohl auch kein Wunder.
„Weiß Jimmy, wie du…“ Ich brach ab, unsicher, wie ich es formulieren sollte.
Mit seiner gewohnten Intuition füllte Sawyer die Lücken.
„Er weiß, wie ich arbeite.“
Ich hatte angenommen, es würde heiße, brodelnde Wut in mir aufsteigen. Stattdessen kämpfte ich mit den Tränen, ich war schockiert. Schnell drehte ich mich weg und blickte auf das ruhige Wasser des Bergsees, bis ich mich wieder gefasst hatte. Lange brauchte ich nicht. Ich dachte über die heutigen Ereignisse nach, und eine Sache beunruhigte mich dabei besonders. Die Fähigkeit, die Gestalt zu wandeln, war beschränkt auf die Nephilim, oder zumindest musste man eine Kreuzung sein. Ich hatte keine Ahnung, wer meine Eltern waren, aber vielleicht wusste es Sawyer.
„Was ist mit der Verwandlung?“ Ich sah ihn fest an. „Woher zum Teufel habe ich das?“ Innerlich wappnete ich mich dagegen, von einem Werwolf oder Schlimmerem abzustammen. Und wie immer lag ich daneben.
„Du bist eine Empathin.“
Ich bin noch nie sonderlich einfühlsam gewesen. Gefühle im Allgemeinen waren mir lästig. Besonders meine eigenen.
„Nicht im herkömmlichen Sinn“, führte Sawyer aus. „Empathen können sich in die Lage von anderen hineinversetzen. Sie fühlen sich in andere ein, teilen dessen
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