Die Phoenix Chroniken: Fluch (German Edition)
es eigentlich nicht mitgenommen und es irgendwo anders verbrannt?«, fragte ich. Irgendwo, wo ich es mir hätte schnappen können. »Warum hast du so lange gewartet, bis Mait dich erkannt hat und alles zum Teufel ging?«
»Ich habe nicht gewartet. Ich habe dir das Signal gegeben, ihn zu töten.« Er drehte mich zu sich herum, dann sah er mich von oben bis unten an, als wäre ich jemand, den er gerade erst kennengelernt hatte und nicht mochte. »Nahe genug warst du ihm ja.«
»Das war doch der Plan!« Ich riss mich los. »Dein Plan. Ich habe mich wenigstens daran gehalten.«
»Bis darauf, dass du ihn nicht getötet hast.«
Ich seufzte. »Ich soll doch die Anführerin des Lichts sein. Du bist mein Sekundant. Das heißt, du führst meine Befehle aus. Und ich habe dir befohlen, mir das Buch zu bringen.«
Seine Augen loderten. Für einen Augenblick sah ich wieder den Vampir darin, zu dem er werden konnte. Dann ging er zur Tür. »Was wirst du jetzt deswegen unternehmen, Herrin?«, fragte er höhnisch. »Mich umbringen?«
Ich machte einen Schritt auf ihn zu – ich war so wütend, dass ich das für eine ziemlich gute Idee hielt. Aber er ging in den Flur raus und warf die Tür hinter sich zu. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, ihm zu folgen. Ich wusste, dass er verschwunden war.
Diesmal rechnete ich auch nicht damit, dass er zurückkommen würde.
31
A ls es Abend wurde, prasselte der Regen auf den Balkon. Ich hätte meine Sachen zusammenpacken und nach New Mexico aufbrechen sollen. Aber ich war müde, traurig und deprimiert. Zuzusehen, wie der Regen auf New Orleans fiel, machte es auch nicht gerade besser.
Ich versuchte, Luther zu erreichen, dann Summer, aber niemand ging ans Telefon. Das war nicht ungewöhnlich. Im Schatten des Mount Taylor war der Empfang offenbar besonders schlecht. Dass sie in einem verzauberten irischen Landhaus lebten, machte es auch nicht besser. Wenn ich sie morgen nicht bis zum späten Vormittag erreichte, würde ich allerdings anfangen, mir Sorgen zu machen. Und dann wäre ich schon auf halbem Weg nach Hause.
Ich lauschte auf den Sturm und nippte an dem kräftigen Rotwein, den ich beim Zimmerservice bestellt hatte. Endlich machten mich die Erschöpfung und der Alkohol so schläfrig, dass ich meine Kleidung auf den Boden fallen ließ und ins Bett kroch. Der Rhythmus des fallenden Regens folgte mir in die Dunkelheit.
Ich wollte unbedingt mit Sawyer sprechen. Stattdessen kam ich zu Ruthie. Ich hätte mich etwas mehr darüber freuen sollen. Schließlich hatte ich sie mir doch zurückgewünscht, seit ich sie verloren hatte.
In meinem Traum besuchte ich Ruthie und sprach mit ihr. Das Haus mit dem weißen Gartenzaun war nicht das, in dem sie gelebt hatte und gestorben war. Trotzdem wusste ich, dass es ihres war, noch bevor ich den Pfad hinaufging und sie mir die Tür öffnete.
»Lizbeth.« Ruthie breitete die Arme aus.
Obwohl sie so mager war und ihre Ellbogen, Knie und Hüften so scharfkantig wie Rasierklingen wirkten, waren Ruthies Umarmungen die schönsten in dieser und der nächsten Welt. Gott, wie hatte ich sie vermisst.
Ich hatte keine Ahnung, wie die Umarmungen einer Frau, die nur aus Haut und Knochen bestand, so weich und sanft sein konnten. Doch als Ruthie mich in die Arme nahm, verflog meine Erschöpfung, die Trauer lichtete sich, und ich fühlte mich wieder so stark, als könne mich überhaupt nichts aufhalten. Diese Wirkung hatte sie immer auf mich gehabt.
Ruthie rieb mir den Rücken und flüsterte sinnloses Zeug in meine Haare, während sie mich festhielt. Wie immer zog ich mich als Erstes zurück, sie niemals. Womöglich war genau dies auch das Geheimnis dieser Umarmungen.
Sie hielt meine Hand in ihrer, die mager und von dicken Adern durchzogen war – aber noch immer so stark schien wie ihr Herz, dessen regelmäßiges Schlagen ich nach wie vor an meiner Brust spürte, obwohl sie nun seit fast drei Monaten tot war. Sie zog mich hinein und schloss die Tür.
»Ich bin so froh, dass du wieder da bist«, sagte ich.
Ruthie lächelte, ihre weißen Zähne leuchteten in diesem Gesicht, das die Farbe von starkem Kaffee hatte. Ihr bauschiger, ergrauender Afro schaukelte, als sie den Kopf schüttelte. »Ich war die ganze Zeit hier, mein Kind. Du warst doch diejenige, die fort gewesen ist.«
»Nicht fort. Nicht direkt.«
»Besetzt?« Sie zuckte die Schultern. »Ist jetzt nicht mehr wichtig. Jetzt habe ich viel Zeit, dich besuchen zu kommen, von Vollmond zu Vollmond.«
Weitere Kostenlose Bücher