Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
hereinkommenden Assistenten mit voller Wucht im Gesicht.
Ohne einen Abschiedsgruß schlüpften wir hinaus. Ich glaube nicht, dass man uns das als Unhöflichkeit ankreiden kann, denn schließlich wussten die beiden ja gar nicht mehr, wer wir waren, noch worüber wir gesprochen hatten. Wir kehrten zum Impala zurück.
„Du fährst“, sagte Summer.
Das brauchte sie mir nicht zweimal zu sagen. Ich sprang hinters Steuer, gab Gas und brauste los. Summer hob die Hände über den Kopf. Feenstaub senkte sich über die Stadt, wirbelte in Hauseingänge, entschwand tanzend durch die offenen Fenster und Kamine.
„Diese magische Kraft ist wirklich praktisch“, murmelte ich.
„Vergiss es.“ Summer legte die Hände in den Schoß und knetete ihre Finger, als schmerzten sie. „So ticke ich nicht.“
Einen Augenblick lang wusste ich nicht, was sie damit meinte. Als der Groschen dann fiel, wurde ich puterrot im Gesicht.
Ich hatte nicht nur psychometrische Fähigkeiten und war latent medial begabt – konnte Tote sehen, zumindest Ruthie –, ich war auch eine Empathin. Der herkömmliche Empath kann sich in andere hineinversetzen, teilt deren Gefühle. Natürlich war ich aber mal wieder nicht die Standardausführung. Stattdessen machte ich mir die übernatürlichen Fähigkeiten anderer durch Sex zu eigen.
Genau, ich selbst war auch nicht gerade davon begeistert.
„Wenn du die Kraft unbedingt willst“, fuhr Summer fort, „und ich sehe ein, warum, dann kenne ich da jemanden, der dir helfen könnte.“
„Jemand …“, begann ich.
„Männlich.“
„Eine männliche Fee?“
„Glaubst du etwa, nur Frauen können Feen sein?“ Sie griff nach ihrem Handy. „Ich ruf ihn gleich an. Hat bestimmt nichts dagegen.“
„Aber ich.“ Ich hielt ihre Hand fest. Verwirrt starrte sie mich an. „Nur weil ich mir die Kräfte einverleiben kann, heißt das noch nicht automatisch, dass ich es auch sollte.“
„Wozu hast du denn die Gabe?“
„Weil wir nur so gewinnen können.“
Wenn ich die Nephilim davon abhalten wollte, sich die Erde untertan zu machen, musste ich noch stärker werden. Meine seherischen Fähigkeiten reichten da nicht aus. Das hat man ja an Ruthie gesehen.
Trotzdem sträubte ich mich dagegen, es mit jeder x-beliebigen Kreuzung zu treiben. Und mit einem Nephilim sollte ich niemals ins Bett steigen. Denn neben den Kräften würde vielleicht auch das Böse auf mich übergehen. Wie meine Empathie funktionierte, wusste niemand so genau, und das Risiko, womöglich auf der anderen Seite zu landen, wollte ich keinesfalls eingehen.
Ich habe mir geschworen, nur Kräfte aufzunehmen, die unbedingt nötig sind. Irgendwie hatte ich gehofft, dass ich keine mehr bräuchte. Klar, diese Hoffnung war utopisch, aber welche Hoffnung ist das nicht?
Auf einer kurvenreichen Straße fuhren wir den Berg hinauf und waren schon auf dem letzten Stück zum Gipfel, wo bestimmt ein Schild mit der Aufschrift stand: „Gruselige Höhlen hier entlang.“
„Ich stell mir vor, dass sich die Leute in Barnaby’s Gap nicht einmal mehr erinnern können, dass wir überhaupt durchgefahren sind.“
Summer nickte, während sie sich immer noch die Hände massierte. „Genauso wenig werden sie sich an das Unheimliche in den Bergen erinnern.“
„Was, wenn einer heute den Tag außerhalb verbracht hat? Im Urlaub?“
„Wenn sich ansonsten keiner daran erinnert, vergessen die das mit der Zeit auch. Es liegt in der menschlichen Natur, rationale Erklärungen zu finden.“
„Was geschieht denn dort, wo du nicht bist?“, wunderte ich mich. „Jimmy hat diese Vergiss-mich-Talente nicht.“
Denn sonst hätte ich sie nämlich auch.
„Wie bereits gesagt, die Menschen suchen nach rationalen Gründen. Wenn die Gefahr erst einmal vorüber ist, dann verschwimmt die Erinnerung, besonders wenn das Erinnerte von vornherein schwer zu begreifen war. Sie fangen dann an zu glauben, sie hätten einen Albtraum gehabt oder Fieber.“
„Ein Monster begeht Massenmord, und anschließend findet eine ganze Stadt eine vernunftgemäße Erklärung dafür?“
„Massenmord gibt es nicht.“ Ich zuckte, und sie verbesserte sich. „Oft.“
Ich war Zeuge eines solchen Gemetzels geworden, war zu spät gekommen, um es zu verhindern. Die Bilder verfolgten mich weiter – fast jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich sie vor mir.
„Beim kleinsten Anzeichen von Ärger werden die Dämonenjäger ausgesandt“, führte Summer aus, „wenn nicht sogar noch früher. Ziel
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