Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
andere.“
Mir blieb der Mund offen stehen. Das hätte von mir sein können.
„Wenn du dein Gehirn statt deines kindischen Herzens benutzt“, sagte Summer, „wirst du die Wahrheit erkennen.“ Sie schaute auf. „Wir sind da.“
Ich folgte ihrem Blick. In der nächsten Kurve tauchte drohend der riesige, schwarze halbkreisförmige Eingang der Höhle auf. Ringsherum am Hang befanden sich mindestens ein Dutzend anderer Höhleneingänge. Jetzt war aber nicht der richtige Zeitpunkt, mir Gedanken darüber zu machen, was Jimmy vor vielen Jahren getan hatte. Ich musste mich darum kümmern, was er vor kurzem getan hat.
Ich lenkte den Wagen um die letzte Kurve und fuhr von der Straße runter auf einen mit Kies aufgeschütteten Pannenstreifen. Wir stiegen aus, blickten den Hang hinauf und stöhnten.
„Du nimmst die auf der Seite.“ Ich wedelte mit der linken Hand. „Ich knöpfe mir diese Seite vor. Wer ihn zuerst findet …“ Hier brach ich ab und wusste nicht so recht, was ich eigentlich weiter sagen wollte.
„Gewinnt?“, murmelte Summer und schwebte ganz flügellos davon.
6
I ch hingegen musste auf die althergebrachte Art hinaufkraxeln – stolperte über Gesteinsbrocken, nahm freiliegende Baumwurzeln zur Hilfe, um die steilen Felswände zu überwinden, rutschte von Zeit zu Zeit wieder in die Tiefe, verfluchte dann Jimmy Sanducci, Summer, die Nephilim und alles und jeden. Wer auch immer mir gerade in den Sinn kam.
Zum Glück besaß ich dank Jimmy überdurchschnittliche Kraft und Schnelligkeit; und dass die Risse und Schürfwunden, die ich mir zuzog, sofort wieder verheilten, hatte ich auch ihm zu verdanken. Trotzdem, Fliegen wäre mir lieber gewesen. Das machte bestimmt Spaß.
Aber ich hielt mich an meine eigenen Waffen, zumindest im übertragenen Sinne – und behalf mir so lange wie möglich mit den Gaben, die ich bereits hatte. Früher oder später würde ich noch mehr magische Kräfte brauchen, um es mit den Nephilim aufzunehmen.
Die Glock hatte ich im Auto gelassen und nur das Messer mitgenommen. Denn mit einer Schusswaffe war man in einer Höhle schlecht beraten: Felsbrocken, Querschläger, von den schlechten Lichtverhältnissen ganz zu schweigen.
Gerade hatte ich mich über einen Erdwall gehievt und blickte in eine fiese, dunkle Höhle. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, würde ich meinen, die Dämmerung sei schon angebrochen, aber dazu war es noch zu früh.
Ich blickte nach Westen und stieß weitere Verwünschungen aus – das hatte mir gerade noch gefehlt, um diesen Tag abzurunden. Am Horizont zogen riesige indigoblaue Gewitterwolken auf. Das Unwetter würde sich zu einem Wirbelsturm auswachsen – was war ich doch für ein Glückspilz!
In der Höhle zog ich meine treue Taschenlampe hervor und leuchtete damit in jeden gruseligen Winkel. Von Jimmy keine Spur. Das wäre ja auch zu einfach gewesen, wenn er sich gleich in der ersten Höhle versteckt hielte.
Ich kletterte höher, mit einem Ohr lauschte ich nach Summer, mit dem anderen nach dem brausenden Wind. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass ein Sturm in den Bergen die Straßen unpassierbar macht. Wäre das nicht schön, wenn wir hier die ganze Nacht mit Jimmy, dem wütenden Vampir, festsäßen?
Zwar hatte ich eine große Klappe und spuckte große Töne, dass ich ihn umbringen wollte, aber wenn es hart auf hart käme, würde das nicht so leicht sein – weder gefühlsmäßig noch körperlich. Jimmy war gefährlich. Das war er aber auch schon gewesen, bevor er ein Vampir wurde.
Von Beruf war Jimmy Fotograf – oder vielleicht war das auch nur seine Tarnung, und Dämonenjäger war der eigentliche Beruf. Schwer zu sagen. Als Starfotograf reiste er dabei um die ganze Welt, er war heiß begehrt. Schon immer hatte er das beste Auge für Farben, Licht und Gesichter gehabt, und damit hatte er es schließlich weit gebracht.
Doch früher einmal war er wie ich ein Straßenkind gewesen, das gut mit dem Messer umgehen konnte – ich streichelte den Griff meines Messers –, und er hatte ein aufbrausendes Temperament gehabt. Niemand hatte ihm in die Quere kommen dürfen, und wenn doch, dann haben sie es bitter bereut.
Die vierte Höhle war ein Volltreffer. Zunächst dachte ich, es wäre nur noch so ein leeres, feuchtes Loch, aber diese Höhle ging tiefer hinein und war ein wenig größer als die anderen.
Die Luft wurde kälter, ich konnte Wasser riechen und irgendwo in der Ferne ein Tröpfeln hören. Die engen Felswände wurden breiter, bis
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