Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
gerettet. Mysteriös, nicht wahr? Danach ist er einige Male in dubiose Delikte verwickelt gewesen, aber es ist nie zu einer Verurteilung gekommen. Zuletzt«, er blickte auf seine Akte, »zuletzt gab es vor einem halben Jahr gegen ihn ein Verfahren wegen Nötigung und Körperverletzung. Die Kripo in Hamburg hatte damals ermittelt, aber das Verfahren wurde eingestellt. Er scheint einen besonderen Schutzengel zu haben.«
Müller gestattete sich ein leichtes Schmunzeln, völlig unüblich für den Mann, der in seinem Dezernat nicht gerade für übermäßigen Humor bekannt war.
»Sie haben den Mord in der Universität vergessen, Herr Kollege!«
Der Angesprochene quittierte den Zwischenruf Allensteins mit einem bösen Blick.
»Ich habe überhaupt nichts vergessen, Herr Allenstein, aber diese Sache ist ja wohl – bis auf den Täter – geklärt. Wie wir von Dr. Wiegand wissen, hatte der über seinen Freund Dr. Krings zwei Rollen im Archäologischen Institut deponiert, um sie nach den Feiertagen sachgemäß öffnen zu lassen. Das muss der Täter gewusst haben. Er hat nach den Rollen gesucht, ist dabei zufällig anden armen Professor Kohlbruch geraten, der mit allem nichts zu tun hatte, und hat ihn als Zeugen beseitigt. So viel steht fest.«
Kriminalobermeister Allenstein wurde kühner. »Fest steht auch, dass der oder die Täter die Rollen nicht gefunden haben, weil der Krings sie im Safe deponiert hatte, wie wir inzwischen wissen.«
Müller nickte gnädig. »Richtig! Nach dem Mord hat der Krings sie dann bei dem Wiegand in Sicherheit bringen wollen, und dem sind sie dann geraubt worden.«
»Von dem äh ... ›Mönch‹?«, fragte Jungnickel.
»Das ... äh ... wissen wir noch nicht«, antwortete Müller zögernd, »es gibt keine Fingerabdrücke und keine ausreichende Beschreibung von dem Täter, jedenfalls konnte uns Wiegand keine liefern. Allerdings ... allerdings haben Nachfragen ergeben, dass sich am Tag nach dem Mord an Kohlbruch ein ominöser Weihnachtsmann vor dem Institut herumgetrieben hat.«
»Ein Weihnachtsmann?«, fragte Oberkommissar Leonard leise nach, der bislang schweigend zugehört hatte. Seine Hände fuhren durch die schütteren schwarzen Haare, die die Natur ihm noch gelassen hatte und die in krassem Gegensatz zu seiner wuchtigen silbernen Brille standen. Ein sehr introvertierter und intelligenter Mann, der lieber zuhörte als sprach. Er war bei seinen Kollegen wegen seiner zurückhaltenden Art, aber auch seiner ausgeprägten Kombinationsgabe sehr geschätzt. Er war es auch gewesen, der, ähnlich wie Lejeune, über den Schachklub die Verbindung zwischen Dr. Wiegand und Dr. Krings hergestellt hatte.
»Ja, meine Herren, ein Weihnachtsmann, passend zurzeit, nicht? Wir haben bei allen einschlägigen Agenturen nachgefragt, aber zu dem fraglichen Zeitpunkt war kein Weihnachtsmann dort ... äh ... engagiert.«
»Vielleicht ein Studentenulk?«, meinte Jungnickel.
»Wir wissen es nicht, aber die Zeugen beschreiben ihn als riesig und hünenhaft ...«
»... wie den Mönch, nicht wahr?«, ergänzte Allenstein selbstbewusst.
»Ja, in der Tat«, gab Müller zurück, »entweder sind Mönch und Weihnachtsmann dieselbe Person, oder sie ähneln sich in der Statur zufällig.«
Kriminalhauptkommissar Müller schlug die Ermittlungsakte krachend zu, eine Staubwolke stieg langsam nach oben.
»Meine Herren, wir kommen im Augenblick nicht weiter. Die Presse hat inzwischen von der Sache Wind bekommen und entfacht den üblichen Wirbel. Wir sind in Zugzwang. Für morgen haben wir eine Pressekonferenz angesetzt. Herr Jungnickel, Sie werden im Archiv alles über jenen Stencovich herausfinden. Ich will alles, wirklich alles über diesen komischen Mönch wissen. Herr Allenstein, Sie werden sich mit dem Erzbistum in Verbindung setzen und die beschlagnahmten Rollen herholen. Vielleicht kann man sie sachgerecht öffnen lassen. Und Sie, Kollege Leonard, Sie werden die Nachbarschaft der Opfer in Rodenkirchen noch einmal verhören. Nehmen Sie das Bild mit und befragen Sie die Zeugen. Irgendjemand muss doch etwas gesehen oder gehört haben. Dann fahren Sie zu diesem Studienrat, dem Hellinger und der Baumeis-ter und zeigen ihnen dieses Bild, vielleicht fällt ihnen dazu noch etwas ein. Ach, noch etwas: Ich besorge uns einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnung von Hellinger, vielleicht gibt es noch mehr Rollen, die der Bursche versteckt hat. An die Arbeit, meine Herren!«
Eilig verließ man den Besprechungsraum.
Auf dem Flur
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