Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
ihre offenen Münder nie vergessen, als ich an ihnen vorbeiging.
Seianus nämlich empfing mich schon nach einer halben Stunde, was ich als gutes Zeichen deutete. Wie er so auf mich zukam, kraftvoll und von athletischer Statur, braun gebrannt und mit einer makellosen blütenweißen Toga bekleidet, strahlte er eine Pracht aus, die kaum größer hätte sein können, wenn er der Imperator persönlich gewesen wäre. Sein markantes Gesicht strahlte vor Wohlwollen, und er lud mich ein, neben ihm auf einem breiten, mit roter Seide durchwirkten Sofa Platz zu nehmen. Ein dunkelhäutiger Sklave brachte Wein, Wasser, Gebäck und Obst, und wir tranken auf das Wohl des Kaisers.
Nachdem Seianus herzhaft in eine Birne gebissen und sich den Mund sorgsam abgetupft hatte, blickte er mich freundlich an und begann: »Sicher wirst du dich über meine ... äh ... Einladung wundern, Tribun, nicht wahr?«
Ich nickte stumm und nahm etwas Obst zu mir.
»Nun«, er pochte auf ein Bündel von Schriften, die auf seinem riesigen Schreibtisch lagen, »alle Berichte, die ich in den letzten Jahren über dich empfing, hätten besser kaum sein können. Du bist ein guter Soldat, gewissenhafter Vorgesetzter und loyaler Bürger.«
Er legte seine Hand auf meine Schulter. »Du hast dich bewährt, wie ich es von dir erwartete. Zeit, eine Stufe emporzusteigen, wie ich es dir versprochen habe.«
Eine Woge des Glücks durchströmte mich und wischte alle Sorgen weg, die mich noch beim Eintritt begleitet hatten. Seianus lehnte sich nach vorne und fuhr in vertraulichem Tone fort: »Wir haben noch viel mit dir vor, ich und der Kaiser.«
Freilich entging mir nicht die Reihenfolge, in der Seianus gesprochen hatte, aber um mir über solche Nuancen Gedanken zu machen, fehlte mir die Zeit, denn schon sprach Seianus weiter. »Fürs Erste wirst du Tribun bei meinen Prätorianern, wie gefällt dir das?«
Es gefiel mir, und ich machte keinen Hehl daraus. Tribun in der kaiserlichen Leibgarde, davon musste jeder Soldat träumen. Und in Rom, in meinem geliebten Rom! Fortuna meinte es gut mit mir.
»Dreißigtausend Sesterzen wirst du im Jahr beziehen, auch nicht übel, oder?«
Ich überschlug die Summe blitzschnell. »Das Vierzigfache eines gemeinen Prätorianers, nicht wahr?«
Seianus nickte und machte die Geste des Geldzählens. »Das Leben in Rom ist teuer geworden, mein lieber Tribun. Du wirst es brauchen können. Vergiss die Preise in der Provinz, wo du für einen Quadrans ein Brot bekommst. Hier kostet ein Pfund Brot ein ganzes As«, er lachte donnernd auf, »jedenfalls, wenn mich meine Sklaven nicht betrügen. Aber zurück zu deinen Aufgaben. Mir untersteht eine Garde von neuntausend Prätorianern, alles Elitelegionäre, bestens gedrillt und ausgerüstet. Du wirst die Hälfte von ihnen befehligen.«
Ich nickte nur, das Glück hatte mir die Sprache verschlagen.
»Zurzeit ist die Garde über mehrere Quartiere wie dieses hier verteilt, aber wir sind dabei, auf dem Viminalhügel ein angemessenes Castra Prätoria zu errichten. Eine deiner ersten Aufgaben wird es sein, den Umzug durchzuführen.«
»Jawohl, Präfekt!«
Seianus nickte zufrieden und goss uns Wein nach.
»Bene, alles Weitere ergibt sich.« Abrupt wechselte er das Thema. »Hast du die edle Proculeia schon gesehen?«
Ich verneinte. Er umfasste meinen Arm und sah mich durchdringend an.
»Mein lieber Tribun, Fortuna hat dich unter ihre Flügel genommen. Bitte bestell der edlen Herrin meine besten Grüße.«
Ich hatte zwar mehr den Eindruck, dass mich Seianus unter seine Flügel genommen hatte, aber ich versprach es und verließ die Prätorianerkaserne im Hochgefühl eines Mannes, der soeben eine kräftige Stufe nach oben genommen hatte.
XX.
Mit leisen Schritten ging Wiegand zur Tür und warf einen Blick durch den kleinen Spion. Die Vorgänge der letzten Nacht hatten ihn Vorsicht gelehrt. Vor der Tür stand ein breitschultriger Mann in einem blauen Rollkragenpullover. Sein vernarbtes Gesicht flößte wenig Vertrauen ein. Der kam jedenfalls nicht vom Erzbistum! Wiegand beschloss, die Tür erst einmal nicht ganz zu öffnen. Er legte die Sicherungskette vor und öffnete die Tür einen kleinen Spalt.
»Ja?«
»Ich hä... hätte etwas mit Ihnen zu besprechen, Herr Doktor. Könnten Sie die Tür öffnen?«
Die leicht singende Stimme verriet einen slawischen Akzent, und Wiegand erkannte sie sofort wieder: Dieser Mann hatte ihn angerufen und sich Schulz genannt!
»Und ... worum geht es?«, fragte er
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