Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
schwermütig machte. Unser Standlager befand sich zu diesem Zeitpunkt an den Quellen eines Flusses, den die Einheimischen »Lupia« nannten, in einer freudlosen, eintönigen Gegend. Eintönig war auch unser Alltag: Truppenausbildung, langweilige Wachdienste, Manöver und Patrouillen, tägliche Appelle, Streitigkeiten unter Männern, kleinere Liebschaften mit den einheimischen Mädchen. Drill und Exerzieren bestimmten unser Lagerleben. Freilich war das Leben verglichen mit dem Dienst in Syrien fast angenehm, jedenfalls bis zu jenem Abend, an dem der Legat alle Offiziere in sein Zelt rief.
Drangvolle Enge herrschte in dem großen Zelt, so viele Centurionen, Tribune und Präfekten hatten sich eingefunden. Ich stand ganz hinten am Eingang und betrachtete voller Respekt den Aufmarsch an Uniformen, Orden und würdigen Gesichtern. Hätte ich nur da schon gewusst, welch grausames Schicksal meiner und meiner Kameraden harrte ...
Der Legat hatte vor sich auf dem Tisch eine große Karte von Gallien und Germanien ausgebreitet, die durch zwei mächtige Flüsse beherrscht wurde: in der Mitte der Rhenus, im Osten die Albis. Nie werde ich diese Szene vergessen, die am Anfang unseres Untergangs stand.
»Meine Herren Offiziere«, sagte Varus mit erhobener Stimme, »wir werden unser Standlager aufgeben, zu unserem Sommerlager in Alisio marschieren und von dort unser Winterquartier am Rhenus aufsuchen. Im nächsten Jahr, so lautet unser Auftrag, werden wir wiederkommen und die Grenzen des Imperiums nach Osten bis zur Albis ausdehnen, im Namen von Senat und Volk von Rom!«
Seine spitzen Finger deuteten auf jenen großen Strom im Osten. »Gleich morgen werden wir mit den Vorbereitungen zum Aufbruch beginnen.«
Er blickte in erstaunte und überraschte Gesichter, denn normalerweise sprachen sich solche Entschlüsse im Lager rechtzeitig herum.Rasch beeilte sich Varus also zu ergänzen: »Nicht, dass unsere Mission hier gescheitert wäre, im Gegenteil. Wir haben mit allen wichtigen Germanenstämmen Verträge geschlossen, mit den Cheruskern, den Friesen, den Hermunduren und den Chatten. Wohin der römische Adler seinen Schatten wirft, herrscht Frieden. Ich spreche hier Recht wie ein Prätor in Rom, die Germanen entrichten uns Tribute und dienen in unseren Hilfstruppen. Der Zeitpunkt ist nicht mehr fern, da dieses Land dem Imperium in gleicher Weise als Provinz dient wie Gallien, Syrien oder Griechenland.«
Er machte eine kurze Pause und blickte die Umstehenden aufmerksam an. Da kein Widerspruch erfolgte, fuhr er ermutigt fort: »Wir werden mit dem ganzen Tross marschieren ...«
Doch ehe er seine Rede fortsetzen konnte, wagte einer unserer Präfekten einen zaghaften Einwand: »Mit dem ganzen Tross, nicht in Kampfformation. Ich meine ...«
Mit einem zischenden »Tace!« wischte Varus den Einwand seines Präfekten beiseite.
»Es interessiert hier nicht, was du meinst, verehrter Velleius. Wir befinden uns nicht in Feindesland, das Land ist befriedet, die Straßen sind gut ausgebaut, der Weg durch Kastelle gesichert. In spätestens acht bis zehn Tagen befinden wir uns in Castra Vetera und richten uns für den Winter ein.«
Einmal Mut gefasst, wagte ein anderer kühn den nächsten Einwand: »Und die Gerüchte? Die Gerüchte um einen Aufstand? Nimmst du sie nicht ernst, Legat?«
»Welche Gerüchte meinst du?«, fuhr Varus ihn an und säuberte sich nebenbei seine Fingernägel mit einem Dolch. Dann wendete er langsam seinen Blick dem Fragenden zu. Das blasse Gesicht mit der spitzen Nase schien den Fragenden zu durchbohren. Doch der alte Tribun – ich habe seinen Namen vergessen, aber ich sehe heute noch sein von den Äxten der Germanen entstelltes Gesicht vor mir – ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Arminius meine ich. Bei allen Göttern, die Gerüchte sagen, dass er mehrere Stämme um sich schart und einen Angriff plant. Fürst Segestes selbst hat uns eine Warnung zukommen lassen, sein eigener Stammesgenosse!«
Einen Augenblick herrschte trotziges Schweigen im Zelt. Dann brachte ein heiseres Lachen aus rauer Kehle die Antwort: »Arminius?Segestes? Bei Mars, Arminius steht seit Jahren in unseren Diensten. Seine Leistungen haben ihm inzwischen den Rang eines römischen Ritters eingetragen. Er speiste gestern noch an unserer Tafel, hast du das vergessen, Licinius? Hast du ihm nicht gegenübergesessen? Und Segestes ist ein eitler Schwätzer, von Neid und Hass zerfressen. Er hegt gegenüber Arminius einen tiefen persönlichen Groll,
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