Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
Antwort. Jetzt wusste er auch, woher er diesen penetranten Geruch kannte, wusste, was er gleich sehen würde. Aus dem Bürgerkrieg in Jugoslawien war ihm dieser Geruch vertraut, er war dort sein tägliches Brot gewesen.
Im fahlen Mondlicht sah der Mann die beiden Toten. Ungerührt und mitleidslos betrachtete er die im Todeskampf verzerrten Körper, die wie zum Schrei geöffneten Münder, die in tödlicher Verzweiflung gebrochenen Augen. Getrocknetes Blut bedeckte den Boden. So etwas hatte er zu oft gesehen, als dass es ihn erschrecken könnte. Sein Blick schweifte kalt über das Zimmer, schien alles zu verstehen. Offensichtlich fehlte nichts, nichts war geöffnet oder aufgebrochen. Das war kein normaler Einbrecher gewesen. Er ahnte, nein, wusste, was der Täter gesucht und wohl auch gefunden hatte.
Für einen Augenblick schien er nachzudenken, ging unentschlossen zum Fenster. Sein Blick fiel auf die regennasse, menschenleere Straße, die von einer Laterne dürftig erhellt wurde. Auch die meisten Nachbarhäuser waren dunkel. Man feierte vielfach auswärts.
Dann war er zu einem Entschluss gekommen. Ein schiefes Grinsen zog über sein entstelltes Gesicht. Er kramte in seinen Taschen nach Handschuhen und durchsuchte sorgfältig Schränke und Vitrinen. In der untersten Schublade einer alten Mahagonivitrinewurde er fündig. In aller Gelassenheit nahm er ein großes Bündel Euroscheine an sich. »Was soll’s«, dachte er, »die hier können eh nichts mehr damit anfangen«.
In diesem Augenblick wurde das Fenster von den Scheinwerfern eines Wagens erfasst, der sich dem Haus näherte. Mit zwei Schritten war der Mann am Fenster, erfasste die Situation. Er bekam Besuch!
Vor dem Haus parkte ein schwarzer Golf, aus dem zwei Männer und eine hübsche, rothaarige Frau ausstiegen. Den älteren der beiden kannte der Mann nur zu gut, und ein Grinsen zog über sein vernarbtes Gesicht. Ohne Zweifel war es besser zu verschwinden. Ein letzter Blick auf den »Chef« und seine Frau, dann eilte der Mann durch den Keller zur Hintertür und verschwand durch den Garten, ohne einen Blick nach hinten zu werfen.
***
»Hier ist es!«, flüsterte Conny so leise, als würde man sie beobachten. Ihre Hand deutete auf die dunkle Villa. Sie zitterte, vor Aufregung und Kälte gleichermaßen.
Wiegand warf einen Blick auf den Zettel, auf dem Conny die Adresse notiert hatte.
»Richtig. Und wir sollen da wirklich reingehen?« Angst und Unwillen mischten sich in seine Stimme. »Ich denke, wir sollten jetzt endlich die Polizei holen!«
»Klar, Doktor, damit wir alle Riesenprobleme bekommen und einiges erklären müssen. Und am Schluss landen wir alle im Knast. Nee, seien Sie mir nicht böse, Doktor, aber Sie sind ein Angsthase. Sie werden sehen, alles kommt in Ordnung.«
Hellingers Stimme klang zuversichtlich. »Machen Sie sich keine Gedanken. Alles dunkel, niemand da. Wir finden die Rollen und hauen wieder ab.«
Wiegand konnte über so viel Naivität nur den Kopf schütteln, schwieg aber.
»Aber wie kommen wir in das Haus rein?«, wollte Conny atemlos wissen. Das Ganze war ihr äußerst suspekt. Sie hätte einigesdafür gegeben, wenn sie jetzt gemütlich unter dem Weihnachtsbaum hätte sitzen können statt hier in der Kälte ...
»Wir werden sehen«, meinte Hellinger in seiner gewohnt unbekümmerten Art und betrat den sorgsam gepflegten Vorgarten durch die geöffnete Gartentür.
»Sollte nicht einer draußen bleiben, äh ... um aufzupassen?«
Dr. Wiegand fühlte sich offenkundig sehr unwohl.
»Doktor, das fällt erst richtig auf, meinen Sie nicht? Was sollen denn die Nachbarn denken. Und schauen Sie, die Tür ist gar nicht verschlossen.«
Wiegand beschlich ein unangenehmes Gefühl, als sie die dunkle Diele betraten. Ein süßlicher Geruch lag in der Luft, aufdringlich, penetrant, bedrohlich.
»Wohin jetzt?«
Conny klammerte sich an Hellingers Arm, als wolle man sie von ihm wegreißen. Nackte Angst stieg in ihr auf, kalter Schweiß bedeckte ihre Stirn, ihr Puls raste. Sie fühlte, dass sie gleich das Bewusstsein verlieren könnte.
»Keine Ahnung«, gab Hellinger leise zurück, »vielleicht ... dorthin?«
Seine Hand zeigte auf die einzige geöffnete Tür. Wiegand hielt seinen Arm fest und schnupperte.
»Riechen Sie nichts, Frank?«
Der schüttelte den Kopf.
»Was meinen ...?«
»Der Geruch des Todes liegt über diesem Haus. Hier ist etwas Furchtbares geschehen. Mann, Frank, das müssen Sie doch spüren. Wir müssen verschwinden, bevor
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