Die Pilgergraefin
Höllenschwärze gähnte ihnen entgegen, ebenso wie ein widerlich modriger Geruch. Waren sie etwa im Verlies gelandet?
Robyn hob die Fackel und leuchtete in die Kammer.
Nein, dies war kein Kerker, sondern eine Kemenate. Indes eine sehr bescheiden ausgestattete Kemenate, die nur die nötigsten Einrichtungsgegenstände aufwies. Wie in der ganzen Feste schmückte auch hier kein Behang die kahlen Wände. In einer Ecke stand ein Spinnrad, das von Spinnweben überzogen war.
Schon wollte Robyn sich zum Gehen wenden, da fiel sein Blick auf den Armstuhl, der vor dem kalten Kamin stand. Die Haube einer Dame ragte über der Lehne empor.
„Lasst uns gehen, Chevalier“, flüsterte Leonor. „Hier ist es unheimlich, und wir sollten die Burg verlassen, ehe man uns ergreift und in den Kerker wirft.“ Angstvoll griff sie sich an die Kehle, die noch immer vom Würgegriff des Marchese schmerzte, und zupfte mit der anderen Hand Trouville am Ärmel seiner Tunika.
Seltsam, dachte Robyn, wieso hat die Frau uns nicht bemerkt? Weshalb sind keine Mägde bei ihr, und warum sitzt sie mitten in der Nacht allein im Finsteren vor einem Kamin, in dem kein Feuer brennt? Vielleicht braucht sie Hilfe …
Vorsichtig ging er um den Stuhl herum, hob die Fackel und erstarrte.
Ein Schrei des Entsetzens entrang sich ihrer Kehle, als Leonor, die dem Chevalier gefolgt war, sah, was sich ihr im Licht der Fackel darbot.
Ein Totenschädel!
Ein Skelett in altmodischen Gewändern …
„Nun, so habt Ihr schließlich doch noch die Bekanntschaft meiner Gemahlin gemacht“, ertönte es von der Tür der Kemenate her. Der Marchese!
Offensichtlich hatte er den Schlag mit der stumpfen Seite des Schwertes überlebt und stand nun, eine Fackel in der Linken und mit einem Morgenstern in der Rechten bewaffnet, am Eingang, ein hässliches Grinsen im Gesicht und offensichtlich bereit, sich auf einen tödlichen Kampf einzulassen. Morgenstern gegen Schwert.
Morgenstern gegen Schwert!
Blitzschnell versuchte Robyn seine Chancen auszuloten und eine Kampfstrategie zu entwickeln. In dieser Kombination des Waffenkampfes war er nicht sehr geübt. Denn bis auf die Zeit seiner Ausbildung zum Ritter hatte er den Waffengang mit diesem Kampfgerät, das ihm verhasst war, immer gemieden. Dem Burgherrn schien es dagegen sehr vertraut zu sein. Im Nu nahm Robyn die Fackel in die andere Hand und hob dann seine Waffe.
Und schon stürzte sich der Unhold, einen lauten Schrei ausstoßend, blindwütig auf seinen Gegner, schwang seine furchtbare Waffe hoch über dem Kopf, um sie auf das Haupt seines Feindes niederfahren zu lassen. Geschickt sprang Robyn zur Seite, und der Morgenstern landete auf der Rücklehne des Stuhls, in dem die verblichene Marchesa saß. Die Haube segelte ihr vom Kopf und entblößte den beinahe kahlen Totenschädel, auf dem nur noch wenige Haarbüschel verblieben waren.
Robyn tänzelte umher, um seinen Gegner zu verwirren, der erneut den Morgenstern schwang, mit dem er eine viel größere Reichweite hatte als Robyn mit seinem Schwert. Doch mit einer geschickten Finte gelang es ihm, so nahe an den Feind heranzukommen, dass er ihm mit der Schwertspitze den linken Arm aufschlitzen konnte.
Der Schmerz in dem bereits von Leonors Dolch verletzten Arm ließ den Marchese aufbrüllen, die Fackel entglitt seiner Hand. Dennoch ließ er den Morgenstern mit der Rechten noch schneller kreisen.
Schon geriet die mit tödlichen Zacken gespickte Kugel in bedenkliche Nähe von Robyn, der sich jedoch im letzten Augenblick noch ducken konnte.
Leonor hatte sich in eine dunkle Ecke der Kammer geflüchtet, im Vertrauen darauf, dass der Chevalier die Situation meistern würde. Doch als sie gewahr wurde, mit welch tollwütiger Entschlossenheit der Burgherr den Morgenstern schwang, wurde ihr bang. Gewiss, der Chevalier war größer, jünger und gewandter als der Marchese, aber diesem stand der Wahnsinn ins Gesicht geschrieben. Er war entschlossen zu töten, koste es, was es wolle.
Immer wieder gelang es Robyn, dem wütenden Angreifer auszuweichen, doch er schaffte es nicht, nahe genug an ihn heranzukommen, um einen tödlichen Treffer zu setzen.
Leonor staunte über die unermüdliche Kraft, mit der der Burgherr den Morgenstern schwang, obwohl er doch am linken Arm zwei schmerzhafte Verletzungen davongetragen hatte.
Wie Hunde umkreisten sich die Gegner rund um den Lehnstuhl, in dem das Gerippe der Marchesa saß.
In diesem Moment stieß der Marchese den Stuhl um und vor die Füße des
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