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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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Chevaliers, sodass dieser ins Straucheln geriet. Schon streifte eine Zacke des Morgensterns seine Stirn. Blut rann ihm ins Auge.
    Da sprang Leonor heran, packte den Fußschemel der verblichenen Burgherrin und zerschmetterte ihn auf dem Haupt des Wahnsinnigen.
    Im selben Augenblick erreichten die Flammen der Pechfackel, die der Marchese zuvor hatte fallen lassen, den Saum des Gewandes seiner verblichenen Gemahlin. Rasend schnell stand der trockene Stoff in Flammen, Flammen, die auf die Kleidung des Burgherrn, der wie leblos zu Füßen der Marchesa lag, übergriffen.
    „Raus hier!“ Robyn packte Leonor und zerrte sie aus der Kammer, wo das Feuer jeden brennbaren Gegenstand verzehrte. Draußen angelangt, warf er die Tür ins Schloss, drängte Leonor beim schwachen Licht seiner Fackel die Stufen hinauf zurück bis zum Treppenabsatz und floh dann mit ihr die andere Wendeltreppe hinunter.
    Schweigend ritten sie durch die Nacht. Das Gewitter, vor dem sie Zuflucht in der Burg des Schreckens gesucht hatten, war schon lange weitergezogen. In dem Wald zu Füßen des Bergfrieds herrschte tiefe Finsternis. Sie mussten sich vollkommen auf die Trittsicherheit ihrer Reittiere verlassen.
    Wann wird der Chevalier mich darauf ansprechen, dass ich eine Frau bin? fragte Leonor sich bang und versuchte gleichzeitig, die Bilder des Grauens zu vertreiben, die sich ihr auf der Feste eingebrannt hatten und ihr schon den ganzen Weg über immer wieder vor Augen standen: die Hände des Marchese, die ihr die Luft abschnürten, der Anblick der skelettierten Leiche der Burgherrin vor dem Kamin; der erbitterte Kampf Morgenstern gegen Schwert, dem der Chevalier um ein Haar zum Opfer gefallen wäre, hätte sie nicht den Schemel ergriffen und Trappatino damit außer Gefecht gesetzt; die Flammen, die aufloderten und das Skelett der Marchesa wie auch den Körper ihres grausamen Gemahls verschlangen …
    Sie erinnerte sich, wie sie in den Stall gelangt waren, in aller Eile ihre Pferde gesattelt und die Burg verlassen hatten. Warum waren die Fallgitter des Tores nicht herabgelassen gewesen? Warum gab es keine Wächter? Seltsam, nur einen Stallknecht hatte sie gesehen, der wie tot in der Box neben Adomar gelegen hatte. Tot – oder lediglich vom Würzwein betäubt?
    War dies alles nur ein böser Traum gewesen?
    Auch Robyn gingen so mancherlei Gedanken durch den Kopf. Vor allen Dingen ein Bild konnte er nicht verdrängen: nachtschwarzes Haar, veilchenblaue Augen und zwei milchweiße Brüste … Sein Knappe Leon war also eine Frau – so wie er es schon mehrmals bei ihrem Anblick, ihren anmutigen, eleganten Bewegungen, ihrem Gang und der Art, wie sie das Messer geworfen hatte, vermutet hatte. Eine wunderschöne Frau, wie er sie sich auf seinen langen, einsamen Reisen mitunter vorgestellt hatte …
    Was sollte er nun tun? Wie sich ihr gegenüber verhalten? Zumal er ihrem mutigen Eingreifen wahrscheinlich sogar sein Leben verdankte. Denn der Marchese mit seinem Morgenstern war durchaus ein gefährlicher Gegner gewesen. Zwar hätte er ihn am Ende vermutlich besiegt, denn er war jünger und ausdauernder als der Burgherr. Aber Leons – oder wie sie in Wahrheit auch immer hieß – Angriff mit dem Schemel war zur rechten Zeit erfolgt. Was für eine mutige Frau! Was mochte sie wohl dazu gebracht haben, sich als Knappe zu verkleiden und als Mann auszugeben?
    Endlich hatten sie den Waldrand erreicht. Vor ihnen lag nun ein Tal, das vom Licht des Halbmondes nur schwach erhellt wurde. Robyn blickte hinter sich. Gottlob, verfolgt wurden sie nicht. Der Marchese hatte seine verderbte Seele gewiss in der brennenden Kammer, in der er seine Frau gefangen gehalten – und möglicherweise hatte verhungern lassen –, ausgehaucht. Und die Bediensteten hatte er, so vermutete Robyn, entweder aus dem Bergfried geschickt oder ihnen den Würzwein gegeben, von dem er zum Glück kaum etwas getrunken hatte, denn dessen leicht bitterer Geschmack hatte ihn vermuten lassen, dass er mit einem Schlafmittel versetzt worden war. In dem Bewusstsein, dass alle in der Burg außer Gefecht gesetzt waren, hatte Trappatino sich dann dem hübschen Knappen genähert, um seine Gelüste an ihm zu stillen.
    Robyn warf einen Seitenblick auf seinen vermeintlichen Schildknecht, der, in der einen Hand die Zügel, in der anderen Hand die zerfetzte Tunika haltend, neben ihm einherritt. Ein Verlangen, das er schon lange Zeit nicht mehr empfunden hatte, erwachte in ihm, als er sich an den Anblick der

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