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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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bereit!“
    Leonor stand am Schanzkleid der „Else von Wismar“ und blickte aufs offene Meer hinaus. So weit das Auge reichte nur funkelndes Glitzern, eine schier unendliche Fläche wie aus flüssigem Silber. Noch nie zuvor hatte sie etwas derart Schönes, Eindrucksvolles gesehen. Trotz all der Schrecken und Unbill, die sie in den vergangenen Wochen hatte durchmachen müssen, war sie froh, dass ihr dieser Anblick vergönnt war. Und sie hätte ihn noch viel mehr genossen, wäre ihr das Herz nicht schwer wie Blei gewesen.
    Wie so oft seit dem Tag, an dem sie sich ihrer Weiblichkeit wieder bewusst geworden war, schweiften ihre Gedanken zu dem Mann, der Sehnsucht und Verlangen in ihr geweckt hatte, der an ihr als Frau aber nicht interessiert war. Ein Mann, der mit Leichtigkeit einen riesigen Hund über eine wacklige Laufplanke trug – und der nun mit grünem Gesicht auf einem Strohlager im Bauch des Schiffes kauerte. Und das, obwohl die See ruhig war und nur ein sanfter Wind wehte, der sie ihrem Ziel stetig näher brachte.
    Trotz allen Kummers musste Leonor lächeln. Selbst mit grünem Gesicht schien ihr Robyn der schönste Mann auf der Welt zu sein, und nur zu gern hätte sie ihm einen Kuss auf die blassen Lippen gedrückt.
    „Euch scheint die Reise zu gefallen, Junker Leon.“ Jovial ließ der Kapitän seine schwere Pranke auf Leonors Schulter sinken. „Ganz im Gegenteil zu Eurem Ritter. Aus Euch könnte noch ein rechter Seemann werden.“
    Leonor versuchte, ein mannhaftes Grinsen aufzusetzen und den Schmerz des kräftigen Schulterschlags zu ignorieren. „Das Meer finde ich wunderschön. Es wirkt so erhaben in seiner Weite. Doch man fragt sich, was wohl geschehen mag, wenn man den Rand des Ozeans erreicht. Wird man dann nicht hinabstürzen in unwägbare Tiefen?“
    Der sympathische Hüne aus dem Norden ihrer Heimat lachte. „Nun fahre ich bereits mehr als zwanzig Sommer zur See, und noch nie habe ich gehört, dass ein Schiff über den Rand der Welt gestürzt wäre. Gewiss, Stürme und widriges Wetter sowie Piraten haben so manches Schiff in den Untergang getrieben und unzählige Männer das Leben gekostet. Doch dass sie in unwägbare Tiefen am Ende des Ozeans gestürzt wären, hat noch nie jemand berichtet.“ Wie es seine Gewohnheit war, fuhr er sich über den gestutzten Bart. Verschwörerisch blickte er Leonor an. „Gewiss, die Gelehrten behaupten, die Erde sei eine Scheibe. Doch unter uns Seeleuten gibt es nicht wenige, die sagen, das kann nicht sein.“
    Davon hörte Leonor zum ersten Male. „Aber so lehrt es doch die heilige Mutter Kirche. Und wenn die Erde keine Scheibe ist – was ist sie dann?“
    Diesmal fuhr der Kapitän sich über die Stirn. Mit Zweifel im Blick sah er den Knappen an. „Ich weiß nicht, Junker Leon, ob ich Euren jungen Kopf damit verwirren soll …“
    „Ach, nun habt Ihr meine Neugierde geweckt, Kapitän. Spannt mich nicht auf die Folter.“
    „Folter – ja, das ist das richtige Wort, denn die erwartet alle, die den Lehrmeinungen der Kirche widersprechen. Nun, sei’s drum, ich will es Euch verraten: Etliche der erfahrensten und am weitesten gereisten Seeleute behaupten, die Erde sei eine Kugel.“
    Leonor riss Mund und Augen auf. „Ihr beliebt zu scherzen, Kapitän“, beschwerte sie sich. „Von einer Kugel würde man doch noch viel leichter hinabfallen als von einer Scheibe. Nein, Ihr wollt Euch lustig machen über mich.“
    „Keineswegs, Junker Leon.“ Hanns von Wismar hob die Hand. „Seht zum Horizont. Was erblickt Ihr dort?“
    Angestrengt hielt Leonor Ausschau. Zunächst wollte ihr nichts Besonderes auffallen. Enttäuscht wandte sie sich dem Kapitän zu.
    „Schaut genau hin. Was seht Ihr?“
    Wieder blickte Leonor über die silbrige Fläche, kniff die Augen zusammen – und dann fiel es ihr auf. „Es ist keine gerade Linie, es ist wie eine … eine … Krümmung.“
    „Genau, eine Krümmung. Das habt Ihr gut erkannt. Und das ist, so sagen viele Seefahrer und – im Geheimen – auch manche Gelehrte, der Beweis …“
    „Hanns von Wismar“, ertönte da eine herrische, wenn auch leicht geschwächte Stimme. „Setzt meinem Knappen keine Flausen in den Kopf. Wenn einem Leib und Leben lieb ist, ist es in diesen Zeiten besser, daran zu glauben, dass die Erde eine Scheibe ist.“
    „Wer weiß, Chevalier. Vielleicht wird man noch zu Lebzeiten des Junkers die Wahrheit erkennen. Aber möglicherweise dauert es auch noch mehr denn hundert Jahre.“ Wieder strich er

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