Die Pilgergraefin
sich über den Bart. „Was mir derzeit viel mehr Sorgen bereitet, ist, dass wir uns Sardinien nähern.“
Robyn, den zwar immer noch eine leichte Übelkeit plagte, der sich aber etwas besser fühlte als zu Beginn der Seereise, wandte sich angespannt an den Kapitän. „Sardinien? Was hat es damit auf sich? Gibt es hier Untiefen, oder sind Stürme zu befürchten?“
„Schlimmer, Chevalier. Piraten. Die Pest der Meere.“
Leonor rekelte sich auf ihrem harten Lager. Sosehr sie auch das Meer und die immer wieder wechselnden, atemberaubenden Anblicke, die sich ihr boten, liebte – die Verhältnisse auf einem Schiff waren alles andere als bequem, und wenn sie in den vergangenen Wochen nicht schon allerlei Härten kennengelernt und sich auf sie hätte einstellen müssen, wäre sie nun wohl sehr ungnädig gewesen.
Gnädig – ungnädig –, das waren Worte, die einer Gräfin zustanden. Gnädigste Frau Gräfin, so hatte man sie angesprochen. Und manches Mal hatte sie recht ungnädig reagiert, wenn nicht alles nach ihrem Willen gegangen war. Sogar Anna gegenüber, die ihr nichts als Gutes getan hatte, war sie gelegentlich ungeduldig und herrisch aufgetreten, was sie inzwischen zutiefst bereute. Und doch war ihr die getreue Kammerfrau ohne Murren auf die Pilgerfahrt gefolgt, hatte sie sogar mit ihrem Leben beschützt …
Tränen traten Leonor in die Augen, und wie schon so oft auf dieser Reise bat sie um Vergebung.
Und da die Gedanken sie wieder einmal in die Vergangenheit geführt hatten, kam ihr auch ihre Schwester Cathérine in den Sinn. Ach, wenn sie doch nur Nachricht von ihr hätte! Wie es ihr wohl bei den Schwiegereltern ergehen mochte? Lebte ihr Töchterchen noch? Welchen Namen mochte sie der Kleinen gegeben haben? Würde sie jemals Antwort auf diese Fragen erhalten? Und würden sie einander jemals wiedersehen?
Leonor wandte den Kopf und sah in große gelb-braune Augen. Tarras! Der Hund hatte sich zwischen sie und den Chevalier gelegt. Wahrscheinlich will er Herrin und Herrn gleich nahe sein, vermutete sie. Wie klug er gehandelt hatte, indem er sie und den Ritter auf dem Nachtlager durch seinen mächtigen Leib voneinander getrennt hatte, konnte das Tier natürlich nicht ahnen.
Verlegen erinnerte sich Leonor an den sehnsüchtigen Traum, den sie in der letzten Nacht gehabt hatte. Ein süßer Traum, in dem der Chevalier sie in seinen Armen gehalten und sie verlangend geküsst hatte …
Sie rief sich zur Ordnung und warf vorsichtig einen Blick auf den Schläfer jenseits des Hundes. Er wirkte im Morgenlicht jung und entspannt, und es schien ihr, als umspiele ein Lächeln seine Lippen.
Ob er wohl von ihr träumte?
Sei vernünftig, Leonor! befahl sie sich. Sie wusste doch nur zu gut, dass er sie nicht begehrte.
Schnell sprang sie auf die Füße, ging, gefolgt von Tarras, zu dem Fass, in dem sich Regenwasser zum Waschen befand, spritzte sich etwas davon ins Gesicht und begab sich dann zu den Pferden, um diese, so gut es an Bord des Schiffes ging, zu versorgen.
Nur noch kurze Zeit, und sie würden den Hafen von Ostia erreichen. Und danach ein Ritt von wenigen Stunden, bis sie in Rom wären. Und dann? Die Trennung von Robyn de Trouville …
Für immer!
Auch Robyn erwachte und streckte sich auf seinem harten Lager. Doch ein Blick zur Seite zeigte ihm einen leeren Schlafplatz. Leonor war bereits aufgestanden, und dieser außergewöhnliche Hund folgte ihr gewiss auf den Fersen.
Warum hatte der Himmel ihm diese junge Frau über den Weg geschickt? Sie war etwas ganz Besonderes, nicht nur was ihr Aussehen betraf. Ja, mitunter verhielt sie sich eigensinnig und störrisch, doch es gab so vieles, was sie von den hoffärtigen Jungfern am Hof des Königs unterschied. Sie war klug, mutig … und einfach liebenswert. War das etwa Liebe, was er für sie empfand? War er zum ersten Mal im Leben in wahrer Liebe entbrannt – und zu unerfüllbarer Liebe verdammt? Der Gedanke schmerzte ebenso sehr wie das Feuer, das in seinen Lenden loderte.
Rasch richtete er sich auf und rief sich zur Ordnung. Auf seinen vielen, oft gefährlichen Fahrten hatte er gelernt, sich unter Kontrolle zu halten.
Da packte ihn eine Hand von hinten an die Schulter. Er fuhr herum und erblickte Kapitän Hanns, dem der Schrecken ins Gesicht geschrieben stand.
„Macht Euch bereit für Euren letzten Kampf, Chevalier.“
Robyn, der noch immer nicht ganz wach war, sah den Seebären verblüfft an. Hatte der Klabautermann ihm den Verstand
Weitere Kostenlose Bücher