Die Pilgergraefin
vernebelt?
„Wir sind verloren, Ritter Robyn.“
„Reißt Euch zusammen, Mann! Habt Ihr Neptun mit seinem Dreizack gesehen?“, spottete er.
Der sonst so unerschrockene Seefahrer war sichtlich in sich zusammengefallen und ganz grau im Gesicht.
„Unsinn, Chevalier. Der würde mich nicht schrecken.“
„Was ist es dann, Kapitän? Nun redet schon!“
„Piraten, Sieur. Sie werden uns in Stücke hauen oder – schlimmer noch – in die Sklaverei verkaufen.“
Nicht zu fassen, dachte Robyn, erst Wölfe, dann die Burg des wahnsinnigen Marchese und nun Piraten. Da war er wochenlang unterwegs gewesen, zuerst mit Jérôme und dann allein, ohne dass irgendwelche nennenswerten Gefahren zu meistern gewesen wären. Doch seit er mit Leon reiste, ging es Schlag auf Schlag. Zog sein vermeintlicher Knappe etwa Unglück an? War das die Strafe des Himmels, weil sie sich als Mann verkleidet hatte? Ach nein, an so etwas glaubte er nicht. Und dennoch … Nun, spätestens in Rom würden sich ihre Wege trennen. Indes verschaffte ihm diese Aussicht keineswegs Erleichterung, sondern ein Gefühl in der Brust, das er bisher nicht gekannt hatte.
Doch nun galt es, sich einer Gefahr zu stellen, die bedeutend größer war als ein paar Wölfe und ein verrückter italienischer Raubritter.
„Jetzt!“ Robyn gab Leonor das vereinbarte Zeichen.
Mit hoch erhobenem Kopf, eine zitternde Hand in die Falten ihres Frauengewandes verkrallt, die andere in Tarras’ Nackenfell, näherte sie sich dem Bug des Schiffes. Dies sei ihre einzige Möglichkeit, hatte Robyn ihr gesagt. Ansonsten sei ihrer aller Leben verwirkt, oder sie würden in der Sklaverei landen – ein Schicksal schlimmer als der grausamste Tod!
Obwohl sie vor Angst zitterte, näherte sich Leonor doch stolz und erhaben wie eine Meeresgöttin dem Punkt, den Robyn ihr bedeutete. Langsam hob sie ein Bein, schwang es über den Rücken des Hundes, der beinahe die Größe eines Fohlens hatte, und stieß den Ruf aus, den Robyn sie gelehrt hatte. Es ist die einzige Chance, die wir haben, mit dem Leben davonzukommen, rief sie sich noch einmal ins Gedächtnis, und nur du kannst alle retten. Sie schwang den improvisierten Dreizack durch die Luft und hielt den Atem an. Würde die List des Ritters Wirkung zeigen und die Piraten in die Flucht schlagen?
Wie schön sie war, wie sie so dastand, gehüllt in eilig drapiertes türkisblaues und tiefviolettes Tuch, in dessen güldenen Litzen sich das Sonnenlicht brach! Wie begehrenswert … und wie mutig! Trotz der drohenden Gefahr konnte Robyn die Augen nicht von Leonor abwenden, die einer archaischen Göttin gleich am Bug des Schiffes thronte. Ein wenig musste er trotz der gefährlichen Lage, in der sie sich befanden, schmunzeln, denn immerhin „thronte“ sie auf Tarras. Aber genau darauf beruhte ja seine Idee – eine Frau und ein Hund, die den Piraten wie Fabelwesen vorkommen mussten – würde ihr Aberglaube stark genug sein, um sie zur Flucht zu bewegen?
Noch näherte sich ihnen allerdings das Schiff der Seeräuber. Noch war die Gefahr nicht gebannt. Schon konnte man die Briganten deutlich erkennen, die drohend und siegesgewiss ihre Enterhaken schwenkten.
Immer näher kam die Brigg, war bereits bedrohlich dicht bei der „Else von Wismar“. Nun ist unser aller Schicksal besiegelt, dachte Kapitän Hanns und schlug das Kreuzzeichen. Nie mehr würde er seine Frau und die Heimat wiedersehen.
Robyn hingegen verharrte ruhig auf seinem Platz, die Hand am Schwertknauf. Kampflos würde er sich nicht ergeben und seine ganze Waffenkunst einsetzen. Nein, er würde es nicht zulassen, dass Leonor ein Haar gekrümmt wurde.
Da erschallte plötzlich ein Wehgeschrei vom Segler der Piraten, das dem Ruf einer Horde von Dämonen glich. Kopflos rannten die Seeräuber über das Deck ihres Schiffes. Einige Männer stürzten sich gar ins Meer. Ruderten wild mit den Armen, bevor sie untergingen, denn wie so viele Seeleute vermochten sie nicht zu schwimmen.
Wie um das Inferno zu unterstützen, fingen nun auch noch die Pferde an zu wiehern, und Tarras stieß ein Geheul aus, das eines Höllenhundes würdig gewesen wäre.
„Sie drehen bei! Sie fliehen! Sie fliehen!“ Kapitän Hanns sank auf die Knie und küsste die Schiffsplanken. Dann sprang er auf die Füße und klopfte Robyn auf die Schulter.
„Ihr habt uns gerettet mit Eurer Finte, Chevalier, Ihr und Euer Knappe. Er sieht aber auch wirklich aus wie eine Frau, und wenn man nicht wüsste, dass er Euer
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