Die Pilgergraefin
Wie schön war es doch an dem kleinen See gewesen, in der freien Natur, nur das Firmament mit tausend Sternen über sich … In den Städten hingegen schien es nichts als Unrat und Ungemach zu geben.
Die Wirtin stieß eine klapprige Brettertür auf, ging voran und hielt den Leuchter hoch. „Hier werdet Ihr’s bequem haben, Signore. In ganz Rom ist derzeit kein besseres Quartier frei“, verkündete sie stolz.
Robyn hob skeptisch eine Augenbraue, sagte jedoch nichts. Die Hoffnung auf ein wohltuendes, reinigendes Bad musste er wohl aufgeben, und auch Leonor verkniff sich jeglichen Kommentar beim Anblick der winzigen Dachkammer, in der sich außer einer schmalen Bettstatt und zwei Schemeln, auf einem stand eine kleine Waschschüssel, nichts befand.
Oh ja, nun würde sie mit dem Ritter, der solch sehnsüchtige und unziemliche Gefühle in ihr wachrief, tatsächlich in einem Raum – und in einem Bett – schlafen müssen. Würde es ihm diesmal etwas ausmachen, oder hatte der Chevalier seine Haltung ihr gegenüber nach wie vor nicht geändert? Darauf, dass er sie mittlerweile als Frau wahrnahm, ließ höchstens der Umstand schließen, dass er ihr bei dem Überfall befohlen hatte, hinter den Pferden Schutz zu suchen. Das hätte er seinem Schildknecht nicht angeordnet.
Dann kam ihr noch eine andere Möglichkeit für das gleichgültige Verhalten des Ritters in den Sinn. Immerhin hatte sie seit vielen Wochen nicht mehr in den Spiegel geblickt.
Bin ich denn auf dieser beschwerlichen Reise so hässlich geworden, fragte sie sich, dass ich einem Mann gar nicht mehr gefallen kann? Und schalt sich zugleich ihrer begehrlichen Gedanken.
Die Wirtin entzündete eine Ölfunzel in einem Wandhalter. „Der Abtritt befindet sich neben dem Stall“, verkündete sie großspurig, als sei dies eine besondere Annehmlichkeit. „Aber selbstverständlich …“, fuhr sie fort, „findet Ihr auch einen Nachttopf unter dem …“
„Schon gut, Signora“, unterbrach Robyn sie. „Ich und mein Knappe werden zurechtkommen.“
Lucia deutete nachlässig einen Knicks an und verließ die Kammer.
Allein, dachte Leonor, allein mit dem Mann, der solch verwirrende Gefühle in mir weckt. Gefühle, die einer erst vor Kurzem zur Witwe gewordenen Frau zudem verboten waren.
Derweil blickte Robyn sich in der kargen Kammer um und überlegte, ob es nicht besser sei, die Nacht wiederum im Stall zu verbringen. Doch die Unterstände für die Pferde waren so eng, dass er kaum Platz neben Adomar finden würde. Wenn wir uns beide voll bekleidet das Lager teilen, fand er schließlich, wird es schon gehen.
„Leon“, wandte er sich an seinen vermeintlichen Knappen, „die Bettlaken hier scheinen mir nicht besonders sauber zu sein. Deshalb denke ich, es ist besser, wenn wir uns nicht entkleiden.“
Erleichtert atmete Leonor auf. Auch sie dachte, dass sie die Nacht an seiner Seite überstehen könnte, ohne ihre wahren Gefühle zu verraten, wenn Tunika und Hemd sie voneinander trennten.
„In der Tat, Sieur“, murmelte sie gepresst. „Ich hoffe, Signora Lucia beherbergt keine Bettwanzen in ihrem Palazzo.“
Hellwach und stocksteif lag Leonor nun schon seit geraumer Zeit neben dem Chevalier. Seine Nähe und die Wärme seines kraftvollen Körpers hüllten sie ein, gaben ihr Geborgenheit und weckten Wünsche in ihr, die sie mit aller Macht zu unterdrücken suchte.
Was geschieht mit mir? Heiß pulsierte das Blut in ihren Adern, und sehnsüchtiges Verlangen, wie sie es nie zuvor verspürt hatte, durchströmte ihren Leib. Nur eine Handspanne von ihr entfernt lag der Mann, dem dieses Verlangen galt – und doch, sie durfte ihn nicht berühren. Fest bohrte sie die Fingernägel in ihre Handflächen, damit der Schmerz sie davon abhielt, Robyn zu berühren, ihn zu erkunden … Nein, so lustvoll, so stark, so intensiv hatte sie tatsächlich noch nie zuvor empfunden.
Bin ich eine liederliche Frau? fragte sie sich wieder einmal, zutiefst verwirrt von ihren Empfindungen. So heißblütig war sie doch früher nicht gewesen. Ein verworfenes Luder, das nur aus war auf fleischliche Genüsse? Nein, das konnte nicht sein. Es musste noch eine andere Erklärung geben für die Gefühle, die der Chevalier in ihr auslöste.
Sie unterdrückte ein gequältes Seufzen, um ihn nicht zu wecken. Oder schlief er gar nicht? Was mochte in ihm vorgehen? Vielleicht begehrte er sie ja doch und unterdrückte seine Gefühle, weil ihm dies seine ritterliche Ehre gebot? Immerhin war sie eine
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