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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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nirgendwo erblickte sie einen Kirchturm, der es an Höhe mit dem des Freiburger Münsters hätte aufnehmen können, von dem man sagte, es sei der schönste der Christenheit –, kamen sie auch an mehreren antiken Stätten vorbei, die jedoch wie riesige Steinbrüche wirkten. Als sie das Kolosseum passierten, die Arena, in der so viele Christen ihr Leben gelassen hatten, wie der Burgkaplan ihrer Eltern einst zu berichten wusste, wurde dies besonders augenfällig, denn von den Mauern des monumentalen Gebäudes war nur noch etwa ein Drittel erhalten. Ihre Müdigkeit vergessend fragte Leonor den Chevalier neugierig, was es damit auf sich habe.
    „Oh ja, du hast recht, Leon. Den meisten der heutigen Römer bedeuten die Bauwerke der Vergangenheit nichts mehr. Und deshalb benutzen sie die Steine der alten Paläste und Tempel zur Errichtung ihrer Häuser und Kirchen. Ich hingegen bedauere das, denn auf diese Weise geht der Nachwelt Unersetzliches verloren.“
    Über solche Dinge hatte Leonor bisher nie nachgedacht, musste dem weit gereisten Ritter aber beipflichten.
    „Ja, es ist wirklich schade, denn mich dünkt, wenn ich die Reste dieser alten Tempel betrachte, dass Rom damals bedeutend schöner und eindrucksvoller ausgesehen hat.“
    Bemerkenswert, dachte Robyn, für einen Knappen – wie für eine Frau! Doch wie schon so oft zuvor verbot er es sich, in seinem Begleiter mehr als seinen Schildknecht zu sehen. Hier in Rom würden sich ihre Wege trennen. Das durfte er nicht vergessen. Zudem hatte er einer Frau keine sichere Zukunft zu bieten.
    Und außerdem hatte er ja diesen Schwur tun müssen …
    Sie gelangten an den Fluss Tiber, der Rom durchquerte, und Leonor fand ihn im Vergleich mit dem Rhein wenig beeindruckend. Jetzt, in der Hitze des Sommers, gab es sogar ein paar Stellen, an denen er beinahe ausgetrocknet war. In einiger Entfernung erhob sich der imposante Rundbau der Engelsburg, die, so wusste sie, im zweiten Jahrhundert als Mausoleum für Kaiser Hadrian errichtet worden war und weiteren römischen Imperatoren als letzte Ruhestätte diente. Doch warum wurde sie Engelsburg genannt? Gewiss würde Ritter Robyn die Antwort kennen. Und in der Tat konnte er ihre Frage sogleich beantworten.
    „Als im Jahre 590 die Pest in Rom wütete, erblickte Papst Gregor I. den Erzengel Michael über der Burg, der ihm das baldige Ende der Seuche verkündete. Und in der Tat ging diese kurz darauf zu Ende. Seitdem trägt das Mausoleum den Namen und diente verschiedenen Päpsten immer wieder als Zufluchtsort. Nikolaus III. ließ sogar einen mehr denn eine halbe Meile langen unterirdischen Gang zwischen dem Vatikan und der Engelsburg anlegen, um im Notfall die schützenden Mauern des mittlerweile zu einer starken Feste ausgebauten Castel Sant’Angelo erreichen zu können.“
    „Euer Wissen ist wirklich beeindruckend, Sieur“, staunte Leonor. „Ihr seid nicht nur ein hervorragender Ritter, der mit Schwert und Wurfmesser umzugehen weiß und selbst gegenüber Strauchdieben noch Milde walten lässt, sondern auch, so denke ich, ein wahrer Gelehrter.“
    „Ach nein, Letzteres bin ich gewiss nicht“, erwiderte Robyn bescheiden.
    „Was wohl aus den Räubern geworden sein mag, die uns überfallen haben?“, überlegte Leonor.
    „Wahrscheinlich hat die Frau sie, gleich nachdem wir weg waren, wieder losgebunden. Oder, wenn sie schlau ist, hat sie sich mit den Münzen, die ich ihr gegeben habe, und ihrem Kind aus dem Staub gemacht. Wahrscheinlich ist sie jedoch die Geliebte oder Ehefrau eines der Strauchdiebe, und so halte ich Ersteres für wahrscheinlicher.“
    Inzwischen hatten sie den Stadtteil mit den antiken Gebäuden hinter sich gelassen und erreichten ein Viertel jenseits des Tibers, das erst in neuerer Zeit entstanden und weit davon entfernt war, den an manchen Stellen noch zu erahnenden marmornen Glanz der römischen Epoche widerzuspiegeln. Schmale Häuser, die bis zu sieben oder acht Stockwerke hoch aufragten, standen einander so dicht gegenüber, dass zwei Reiter die schmale Gasse kaum nebeneinander passieren konnten. Hinter den meisten der winzigen Fenster leuchtete ein matter Schein. Denn obwohl es noch nicht Nacht war, herrschte Düsternis.
    Nicht gerade angenehm die Gegend, in die uns der Torwächter geschickt hat, dachte Robyn.
    Und auch Leonor fand die Aussicht, hier Quartier zu nehmen, wenig erfreulich. Mit Schaudern erinnerte sie sich an die dunkle Gasse in der kleinen Stadt, in der sie überfallen und wo ihr beinahe

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