Die Pilgergraefin
des Herrn verschrieben hatten, war ihr klar, dass diese Lobpreisung wohl die ganze Nacht andauern würde. Sie zupfte ihr Kopftuch zurecht – eine der wenigen Vorteile dieser Pilgerfahrt war, dass sie nicht länger das Gebende tragen mussten, diese Kopfbedeckung mit einem Band aus festem Linnen, der Wangen und Kinn einengte – und versuchte, es sich im Heu bequem zu machen. Der Duft des gemähten Grases an sich war recht angenehm, indes stach es ihr unangenehm in die Arme, da sie die Ärmel ihres einfachen Kittels der Hitze wegen über die Ellenbogen geschoben hatte.
Ein mächtiger Donnerschlag ließ sie zusammenfahren. Trost suchend schmiegte sie sich in Annas Arme. Der Gesang der Pilger schwoll an. Und plötzlich, demütig in Anbetracht der Naturgewalten, stimmte Leonor inbrünstig in den Gesang mit ein.
Doch niemand sang so laut wie Gotthilf, der sich wieder einmal hervorzutun versuchte. Als Student der Theologie fühlte er sich Pater Anselm, der nie eine Universität besucht hatte, überlegen und hatte deshalb schon mehrmals in der kurzen Zeit des Pilgerzugs dessen Entscheidungen angezweifelt. Womit er wiederum die restlichen Pilger gegen sich aufbrachte.
Auf einmal erhellte ein besonders grell leuchtender Blitz das Innere der Scheune – und fuhr mitten in einen der Heuballen, der sich sofort entzündete.
Und schon rief Helene schrill: „Feuer! Feuer! Rettet euch!“
Binnen weniger Augenblicke brannte ein Teil der Scheune lichterloh. Schreiend flohen die Pilger, die noch nicht von dem Feuersturm eingekesselt waren, aus dem Schober, dessen Heu den gierigen Flammen reiche Nahrung bot.
Auch hier tat Gotthilf sich hervor, jedoch nicht, indem er den anderen half, sich selbst und ihr weniges Hab und Gut zu retten. Nein, er war der Erste, der hinausstürmte und dabei Ottilie und Elspeth, die Hand in Hand angstvoll die Flucht ergriffen, rücksichtslos beiseitestieß. Kaum war er jedoch draußen angekommen und in Sicherheit, erteilte er Anweisungen wie ein Feldherr, die jedoch im Grollen des Donners niemand verstehen konnte.
Leonor blickte zu Anna, die scheinbar leblos neben ihr lag. Ohne an ihre eigene Sicherheit zu denken, packte sie sie unter den Achseln und begann, sie in Richtung des Ausgangs zu zerren. Doch die Kammerfrau, die wohl vor Schreck die Besinnung verloren hatte, war schwerer, als Leonor gedacht hatte. Aber obwohl die gierigen Flammen sie schon beinahe umzingelten, gab sie nicht auf und zog Anna weiter mit sich.
„Lass mich helfen.“
Sie blickte auf und sah in die dunklen Augen von Richard, dem hochgewachsenen Steinmetzgesellen, der sich ohne großes Federlesen ihre Kammermagd samt deren Beutel über die Schulter warf und ihr die Rechte bot. „Komm, Leonor, jeder Augenblick zählt.“
Gemeinsam gelang es ihnen, das brennende Inferno durch ein Loch in der Seitenwand, an der sich einige Bretter gelöst hatten, zu verlassen. Draußen erwartete sie eine Regenflut – ein Segen, denn diese würde den Brand in der Scheune alsbald löschen. Doch waren auch alle dem Feuersturm entkommen?
Während Leonor sich um die ohnmächtige Anna kümmerte, die Richard in sicherer Entfernung auf den Boden gelegt hatte, gewahrte sie aus dem Augenwinkel, wie Pater Anselm versuchte, mit einer Decke die in Flammen stehende Kleidung von Marga zu löschen, deren entsetzliche Schmerzensschreie selbst das Prasseln des gierigen Feuers, das die Scheune zerfraß, übertönten.
Auf dem kleinen Gottesacker des Dorfes, das die Pilger vor dem verheerenden Gewittersturm hatten ansteuern wollen, sprach Pater Anselm die Segensworte: „Möge ihre unsterbliche Seele ruhen im Frieden des Herrn.“ Pater Anselm warf eine Schaufel Erde auf den einfachen Fichtenholzsarg, in dem die sterblichen Überreste von Marga lagen, die an ihren schweren Verbrennungen gestorben war, nachdem sie, anstatt gleich hinauszulaufen, im Höllenfeuer der Scheune noch nach ihrem Pilgerbeutel gesucht hatte. Nun würde sie auf dem kleinen Friedhof des Dorfes ruhen – bis zum Tage der Auferstehung.
Leonor schlug das Kreuzzeichen und warf die Blüten einer wilden Heckenrose auf den Sarg. Sie hatte Marga, die nur wenige Jahre älter war als sie selbst, in den wenigen Tagen der Pilgerfahrt kaum kennengelernt und sich insgeheim stets ein wenig über die ungelenke Kaufmannsfrau aus Köln lustig gemacht. Und nun lag sie, unbeweint von ihren Lieben und Verwandten, hier in der Fremde.
Oh, Herr Jesus Christus, bin ich eine oberflächliche Person, die nicht
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