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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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zur aufrichtigen Wallfahrerin taugt? fragte Leonor sich bedrückt. Sie drückte einen Kuss auf die letzte Heckenrosenblüte, die sie in der Hand hielt, und warf sie voll aufrichtigen Bedauerns ob Margas so jung und, wie ihr schien, sinnlos geendeten Lebens auf den Sarg. Sie konnte nur hoffen, dass die nun mutterlose Kleine, für deren Heilung Marga die Pilgerfahrt auf sich genommen hatte, in der Obhut ihrer Schwester gut aufgehoben war.
    Bei dem Gedanken an das Kind kam ihr unwillkürlich ihr kleiner Sohn in den Sinn, der nun hoffentlich bei den Engeln im Himmel weilte. Oh, wie glücklich war sie gewesen, als Konradins erster Geburtstag auf Burg Eschenbronn gefeiert wurde und der Kleine, der ganze Stolz seiner Eltern, das erste, für Säuglinge so gefährliche Lebensjahr überstanden hatte. Was für ein hübsches, kräftiges Kind er gewesen war! Und wie sehr sein Vater ihn geliebt hatte! Wie hingerissen sie selbst von ihm gewesen war, und wie stolz sie seine ersten Gehversuche beobachtet hatte! Und nun trug sie die Schuld daran, dass er – und sein Vater – nicht mehr auf dieser Welt weilten.
    Pater Anselms Stimme, der ein letztes Gebet für Marga sprach, riss sie aus ihren schmerzlichen Erinnerungen.
    Ergriffen schlug sie erneut das Kreuzzeichen, nahm Annas Hand und entfernte sich von dem schlichten Grab, wobei Tränen der Trauer über ihre Wangen rannen. Inbrünstig dankte sie dem Herrn, dass sie und Anna dem Feuer entkommen waren, das im Nu die Scheune in ein Flammenmeer verwandelt hatte. Es war wie ein Wunder, dass die meisten der Pilger lediglich leichte Brandverletzungen erlitten und sich hatten retten können. Nur Marga war ein Opfer der Flammen geworden.
    Nun besaßen die meisten Pilger nichts mehr außer den Sachen, die sie am Leibe trugen, und den Münzen, die sie zur Sicherheit in die Säume der Kleidung eingenäht hatten.
    Leonor, die im Gegensatz zu den anderen eine prall gefüllte Geldkatze unter dem Kittel verborgen trug, nahm sich vor, Bruder Anselm einige Silberpfennige zu geben, damit er sie unter den Pilgern verteilen und diese sich in dem Dorf, zu dem der kleine Totenacker gehörte, wieder mit dem Nötigsten versorgen konnten. Insgeheim fragte sie sich, was den erfahrenen Pilgerführer wohl dazu bewogen hatte, sie vor dem drohenden Gewitter ausgerechnet in einer Scheune Unterschlupf suchen zu lassen, fand aber keine Antwort darauf. Dieses eine Mal hatte Gotthilf recht gehabt, denn er hatte davor gewarnt, in dem Schober zu nächtigen.
    Nachdem Pater Anselm Margas Seele dem Herrn empfohlen hatte, schlugen alle das Kreuzzeichen und wandten sich, Gebete murmelnd, dem Ausgang des Kirchhofes zu.
    Der Pilgerführer zitierte jedoch Gotthilf zu sich und hielt ihm eine gehörige Standpauke ob seines anmaßenden und unchristlichen Verhaltens und drohte ihm erneut, er müsse die Gruppe verlassen, so er sich nicht der eines Wallfahrers angemessenen Demut befleißige.
    Das Gewitter hatte zwar Tod und Verderben gebracht, jedoch keine Abkühlung von der lastenden frühsommerlichen Hitze, in der die Pilger ihre Reise fortsetzen mussten.
    Wieder und wieder tupfte Leonor sich den Schweiß von der Stirn. Müde und erschöpft setzte sie einen Fuß vor den anderen. Nie hätte sie gedacht, dass eine Pilgerreise so beschwerlich sein könnte. Dabei hatten sie erst eine kleine Strecke des Weges zurückgelegt, und eine unvorstellbare Zahl an endlosen Meilen lag noch vor ihnen, bis sie ihr Ziel, Rom und die Grabstätte des Apostels Paul, erreichten.
    Ihre Gedanken wanderten wieder einmal zurück zu Burg Eschenbronn, wo sie mit ihrer Familie eine so friedvolle und erfüllte Zeit verbracht hatte. Was für ein glückliches Los war ihr doch beschieden gewesen, solch einen liebevollen Gatten und gesunden Stammhalter zu haben. Erneut überfielen sie die Schuldgefühle mit aller Macht, da geschah es ihr nur recht, dass sie mit schmerzenden Beinen und Füßen, die sie kaum mehr trugen, auf diesem steinigen Pfad leiden musste.
    Sie warf einen Blick zu Anna hinüber, die sich wacker an ihrer Seite hielt, obwohl sie fast dreimal so alt war wie sie selbst. Aber an ihren hängenden Schultern sah sie, dass auch Anna müde und erschöpft war. Dabei hatte ihre Kammerfrau im Gegensatz zu ihr selbst keine Schuld abzubüßen, sondern begleitete sie aus reiner Liebe und Treue.
    „Anna, wie geht es dir?“
    Anna hob den Kopf. „Recht gut, liebe Herrin. Macht Euch keine Sorgen“, behauptete sie tapfer, obwohl sie mitunter von einem

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