Die Pilgerin von Montserrat
Handfesseln wurden ihr abgenommen, dann drehte sich quietschend ein Schlüssel im Schloss.
Teresa rieb die taub gewordenen Finger aneinander und riss sich die Binde vom Kopf. Sie befand sich in einem kleinen Raum mit niedriger Decke. Durch ein schießschartenartiges Fenster fiel Tageslicht herein. Die eine Hälfte des Raumes war mit Teppichen ausgelegt, die andere wurde von einem Tisch, einem Stuhl und einer reichgeschnitzten Truhe eingenommen. Sogar eine Waschschüssel sowie ein Wasserkrug standen auf der Truhe. Auf dem Tisch befand sich eine Schale mit kandierten Feigen und Trauben. Die Wände wiesen daraufhin, dass sie sich wirklich auf einer Burg befand. Vielleicht war es eine der Katharerburgen. Sie ging zu dem schmalenFenster und schaute hinaus. Die Burg war wie die meisten auf einem Berg erbaut, von dem aus man weit ins Land blicken konnte. Die kahlen Zweige der Buchen und Eichen waren mit Schneemützen bedeckt, sie ragten aus dem weißen Untergrund, unterbrochen von Flächen braunen Laubes. Von hier würde sie nicht entkommen können. Und wollte sie es überhaupt? War es nicht die gerechte Strafe für sie, hier bis ans Ende ihrer Tage bleiben zu müssen?
Die Erinnerung an das Geschehen überwältigte Teresa erneut. Sie warf sich auf den Teppichberg und begann abermals haltlos zu schluchzen. Eine lange Zeit verging, wie es ihr schien. Die Dämmerung war hereingebrochen. Wieder drehte sich der Schlüssel im Schloss. Zwei in lange schwarze Kapuzenmäntel gehüllte Männer traten ein. Der eine trug ein kupfernes Becken mit glühenden Kohlen darin. Er stellte es auf den Boden des Raumes und entzündete zwei Fackeln, die er an der Wand befestigte. Das Zimmer war in ein orangerotes Licht getaucht, es wurde rasch warm. Der andere Mann stellte eine dampfende Schüssel auf den Tisch. Der Geruch nach Lammeintopf mit Rosinen stieg Teresa in die Nase, ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Nein, sie würde nichts essen, nicht aus der Hand dieser Männer! Womöglich hatten sie den Eintopf vergiftet. Teresa drehte den Kopf weg und drückte ihn in ein Seidenkissen. Lieber verhungern, als diesen menschenverachtenden Mördern etwas zuliebe zu tun.
»Du willst das Essen verweigern«, sagte der zweite Mann in ihrem Rücken. Konnte er Gedanken erraten? Sie rührte sich nicht.
»Das ist nicht nötig«, fuhr der Mann fort. »Wir wollen dich nicht vergiften. Tatsächlich wollen wir etwas ganz anderes. Du sollst uns helfen, den großen Kandelaber zu finden, du und der Mann, den wir gestern aufgegriffen haben. Morgen werden wir ihn zu dir bringen, denn wir glauben, dass ihr in Verbindung miteinander steht.«
Ein Mann, der mit ihr in Verbindung stehen sollte? Sofort fiel ihr Markus ein. Aber er musste doch schon viel weiter fortgekommen sein! Sie hörte, wie sich die Schritte der Männer entfernten, die Tür fiel krachend ins Schloss, der Schlüssel wurde herumgedreht. Eineigenartiger Geruch breitete sich im Raum aus. Es war derselbe, den Teresa im Kloster Agenbach wahrgenommen hatte. Sie stand auf und blickte sich um. Auf dem Kohlebecken verbrannte etwas, das aussah wie ein Päckchen getrockneter Blätter. Ihr Kopf begann sich zu vernebeln. Was für ein Teufelskraut hatten die Männer da hinterlassen? Sie griff mit der bloßen Hand in das Becken, warf das brennende Päckchen zu Boden und trampelte so lange darauf herum, bis es in Aschestäubchen zerfallen war. Sie blies auf die Brandflecke an ihrer Hand.
Was würde ihr Vater wohl dazu sagen? Das hast du gut gemacht, würde er sagen, lass dich nur nicht einlullen, bewahre immer einen klaren Kopf. Dass sie sich zu Tode hungerte, würde er auch nicht wollen, schließlich hatte er ihr einen Auftrag gegeben, den sie nur bei guter Gesundheit würde erfüllen können. Teresa setzte sich auf den zierlich geschnitzten Stuhl, nahm den bereitliegenden Löffel und begann das Lammragout zu essen. Dazu goss sie sich Wein in den Keramikbecher. Es schmeckte köstlich.
Nach dem Essen legte sie sich auf die Teppiche, zog eine Decke aus rotem Damast über sich und starrte lange in das Licht der Fackeln. Die unverfugten, groben Steine der Mauern begannen vor ihren Augen zu verschwimmen.
Am Morgen krochen Nebelfetzen zum Fenster herein. Die Kohlen in dem Becken waren niedergebrannt, ebenso die Fackeln. Das schon vertraute quietschende Geräusch kam von der Tür. Eine kleine verschleierte Frau huschte herein und stellte eine Schüssel mit warmem Wasser auf den Tisch. Auf den Stuhl legte sie ein
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