Die Pilgerin von Montserrat
Barbara versonnen. »Die Madonnen sind die Urkraft, der Sockel sozusagen, auf den die Religionen aufbauen.«
»Du bist blind, aber weise«, meinte Teresa. Sie küsste ihre Schwester auf die Wange und hielt ihre Hand einen Augenblick.
Dann wandten sie sich zum Gehen. Teresa blickte sich noch einmal um und sah die Schwester unter dem Baum sitzen, die Augen auf die Zweige einer Linde gerichtet. Sie ging mit Markus aus dem Garten zu den Pferden. Die beiden ritten den Berg hinunter, ins vertraute Donautal. Alles war, wie sie es verlassen hatten. Der Fluss mäanderte durch Wiesen und Felder, rechts und links erhoben sich die Berge, die allmählich immer enger zusammenrückten. Da und dort war schon ein weißer Fels im lichten Grün zu erkennen. Auf dem Weg, der nach Beuron führte, da, wo sie das erste Mal den beiden Reitern begegnet waren, wand sich der Weg nach oben. Mitdem letzten Licht des Tages erreichten sie das Dorf Krähenstetten, in dem Teresa oft etwas von den Bauern eingekauft und sich in den Spinnstuben aufgehalten hatte. Einige alte Frauen standen am Brunnen und wuschen Wäsche. Als sie Teresa erblickten, weiteten sich ihre Augen. Sie bekreuzigten sich und rannten schreiend davon.
34.
»Was haben die denn nur?« Teresa schaute Markus verstört ins Gesicht.
Er zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich irgendein Aberglauben – du weißt doch selber, was die sich in den Spinnstuben alles erzählen.«
»Aber sie müssen mich doch kennen! Und sie können mich nicht innerhalb eines halben Jahres vergessen haben.«
»Wen könnten wir in diesem Dorf fragen?«
»Den Pfarrer – er wohnt am Waldrand.«
Mit hängenden Schultern machte sich Teresa auf den Weg. Die Pferde führten sie am Zügel hinter sich her, um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen. Das Haus des Pfarrers war erleuchtet. Teresa klopfte an die Holztür. Ein älterer, beleibter, gutmütig aussehender Mann mit Halbglatze öffnete und prallte zurück. Im ersten Augenblick wollte er die Tür wieder zuschlagen, doch Teresa stellte mit dem Mut der Verzweiflung ihren Fuß dazwischen.
»Herr Pfarrer, erkennt Ihr mich nicht? Ich bin Teresa von Wildenberg.«
Das Gesicht des Mannes wurde eine Spur freundlicher. »Verzeiht mir, aber im ersten Augenblick dachte ich, ich sehe einen Geist.«
»Warum?«, fragte Teresa entsetzt. »Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut, und ich kehre von einer weiten Reise nach Hause zurück. Dass ich als ›Geist‹ empfangen werde, hatte ich nicht zu träumen gewagt.«
Der Pfarrer bat sie in die warme, aufgeräumte Stube. Nachdem sie Platz genommen hatten, schüttelte er den Kopf, als wolle er sich über irgendetwas klarwerden.
»Es ist so«, begann er, und Teresa sah ihm an, dass es ihm nichtleichtfiel zu sprechen. »Vor etwa drei Monaten, mitten im Winter, als hier alles verschneit war und die Eiszapfen von den Dächern hingen, kam Euer Onkel Werner aus Peterszell ins Dorf und wünschte mich zu sprechen. Er habe Kunde erhalten, sagte er mir, dass Froben von Wildenberg und seine Tochter Teresa tot seien. Ich sollte das ins Kirchenbuch eintragen. Als Beweis zeigte er mir einen Brief, in dem diese Tatsache bestätigt wurde.«
»Der Brief war gefälscht!«, rief Teresa. »Es stimmt zwar, dass mein Vater gestorben ist, und er hat noch nicht einmal ein ordentliches Begräbnis bekommen. Aber mit mir hat das nichts zu tun.«
»Wahrscheinlich haben ihn die Mönche von Montserrat begraben«, warf Markus ein.
»Wie kam mein Onkel dazu, sich so etwas anzumaßen?«
»Nun, wir hatten keinerlei Anlass, die Echtheit des Dokumentes zu bezweifeln. Er wurde als Alleinerbe eingesetzt, da keine weiteren Erben vorhanden waren. Nach seinem Tod wird sein Sohn alles bekommen.«
»Dieser Halsabschneider!«, rief Teresa erbost. »Er ist wirklich aus der Art geschlagen. Heißt das etwa …«
»Ja, leider. Er hat die Burg Wildenberg für sich in Anspruch genommen und wohnt nun mit seiner Frau, seinem Kind und der Dienerschaft seit drei Monaten dort. Das Schloss in Peterszell hat er einem Verwalter übergeben.«
Eine Welt stürzte für Teresa zusammen. Sie und Markus sahen sich entsetzt an.
»Das heißt, ich bin ohne Obdach? Wird mein Onkel mich aufnehmen?«
»Klopft doch an seine Türe, dann werdet Ihr es wissen«, sagte der Pfarrer. »Mehr kann ich leider nicht für Euch tun.«
»Vielleicht freut er sich, dass du von den Toten auferstanden bist«, sagte Markus.
»Ich habe so ein merkwürdiges Gefühl«, sagte Teresa. »Aber mitten in der
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