Die Pilgerin von Montserrat
Jeder bleibt das, was er einmal war, kann zwar über sich hinauswachsen, aber nicht seine Grenzen sprengen. Ich hatte immer ein Aber gegen das Heiraten, wollte fremde Länder sehen, etwas erleben, schreiben. Doch seit du in mein Leben getreten bist, möchte ich noch etwas anderes.«
»Das Kloster Agenbach ist nicht aus der Welt. Wir könnten uns gegenseitig besuchen, soweit es der Anstand erlaubt.«
Teresa merkte, dass sie wütend wurde. Anstand, wie sich das anhörte! Aber sie wollte nicht mit ihm streiten, wollte das letzte Stück ihrer gemeinsamen Reise genießen.
Nach einigen Tagen mit wechselnder Landschaft, Sonnenschein, Regengüssen, dichten Wäldern, Weinbergen, Klöstern und Burgen erreichten sie die alte Reichsstadt Regensburg mit ihren Mauern, Zinnen und Türmen, die Stadt, in der vor sieben Jahren die Religionsgespräche zwischen Philipp Melanchthon und Johannes Eck stattgefunden hatten. Über Ingolstadt, Donauwörth und Ulm ging es weiter nach Sigmaringen. Teresa konnte es kaum erwarten anzukommen. Schon von ferne sah sie die wuchtige Burg Sigmaringen, Sitz des Hohenzoller Grafen Karls I. Am Nachmittag erreichten sie das Kloster Inzigkofen. Teresas Herzschlag beschleunigte sich. Wie würden sie ihre Schwester Barbara vorfinden? Hatte sie den Schmalkaldischen Krieg gut überlebt? Wie damals verwies die Äbtissin die beiden in den Garten, in dem sich die blinde Nonne aufhielt. Sie saß auf derselben Stelle, auf derselben Bank wie vor einigen Monaten, bevor Froben, Teresa und Markus aufgebrochen waren, eine kleine, magere Gestalt in ihrer schwarzen Augustinertracht.Ihren Blindenstock hatte sie wie immer an die Lehne der Bank gestellt. Ihr schmales Gesicht mit den großen Augen schien auf einen Punkt über ihr gerichtet. Entschlossen trat Teresa vor sie hin. Doch sie zögerte einen Augenblick lang. Wie sollte sie ihr den Tod des Vaters beibringen?
»Meine liebe Schwester Barbara«, begann sie.
»Teresa!«, rief Barbara und griff nach ihrer Hand. Sie stand auf, breitete die Arme aus, zog Teresa zu sich heran, umarmte sie lange und herzlich. »Wo ist unser Vater?«, fragte sie dann. Teresa schwieg.
»Ich wusste es schon, wusste es die ganze Zeit«, sagte Barbara. »Einen von Euch musste es treffen. Doch Gottes Ratschluss ist unermesslich, er allein weiß, warum er ihn zu sich genommen hat. Ich werde Messen für unseren Vater lesen lassen.« Eine Zeitlang weinte sie still in sich hinein. Dann wischte sie sich die Tränen ab, gab Markus die Hand und führte sie im Garten herum.
»Der Duft der Blumen und der Gesang der Vögel sind meine größte Freude«, sagte Barbara. »Nach den langen Wintermonaten ist es eine Wonne, hier draußen zu sein.«
»Hast du den Krieg gut überstanden?«, fragte Teresa.
»Hier bei uns gingen sich die Kontrahenten weitgehend aus dem Weg, es gab nur kleinere Scharmützel. Die Protestanten litten schon im September vergangenen Jahres an Geldmangel, und als das Herbstwetter kam, verschwanden sie schleunigst. Somit hatte Kaiser Karl V. die Vorherrschaft in Oberdeutschland.«
»Hast du etwas von Wildenberg gehört? Sind die Adligen abgezogen?«
»Was dort weiter geschah, entzieht sich meiner Kenntnis. Vorüberkommende Pilger erzählten, dass die Burg da stehe wie eh und je, uneinnehmbar und gewaltig.«
Ja, so war es, Teresa hatte nichts anderes erwartet. Sie schaute sich um. Es war ein Bild des Friedens und der Idylle. Im Park standen statt der Astern und Dahlien Narzissen, Tulpen und Blaustern. Die Apfel- und Birnbäume zeigten erste Knospen.
»Weißt du noch, was ich euch damals gesagt habe?«, fragte Barbara.
»Wird es nicht noch mehr Unheil bringen, wenn ihr diesen Kandelaber sucht, oder noch mehr, wenn ihr ihn findet? Was ist dann?«
Teresa erbleichte, wie schon im letzten Herbst, vor der Abreise.
»Ich hatte euch ein Sprüchlein mit auf die Reise gegeben«, fuhr Barbara fort. »Was immer ihr in der Ferne sucht, in der Nähe wird es euch einholen. Erinnerst du dich an den Vers:
Bis wir uns einmal wiedersehen,
hoffe ich, dass Gott euch nicht verlässt;
er halte euch in seinen Händen,
doch drücke seine Faust euch nicht zu fest.
»Seine Faust hat uns schon ganz gehörig gedrückt«, meinte Teresa schmunzelnd. »Aber der Teufel hat uns nicht einholen können.«
»Habt ihr die Schwarze Madonna von Einsiedeln gesehen?«, fragte Barbara.
»Ja und auch die von Montserrat«, antwortete Teresa. »Sie haben mir Kraft gegeben.«
»Ich bin schwarz, aber schön«, sagte
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