Die Pilgerin von Montserrat
Läden und Werkstätten untergebracht.
Markus machte Teresa auf die Fenster aufmerksam. »Schau mal!Die Fenster sind nicht nur mit gegerbten Fellen, sondern auch mit Leinwand und Fischblasenhaut bespannt.«
»Und dieses milchige Glas – was ist das?«
»Das sind Scheiben, die aus gespaltenem Tierhorn hergestellt werden. Man kann aber nicht so gut hindurchschauen wie durch Glas.«
Vor ihnen tauchte eine Schankstube auf, wie die anderen Häuser an der Giebelseite mit Fachwerk verziert. Eine Schiefertafel verkündete, dass heute Frittatensuppe, Krenfleisch, Lungenbraten und Marillenknödel angeboten wurden. Verlockende Düfte kamen aus dem Inneren des Gasthauses. Die beiden traten ein. Die holzgeschnitzte Stube mit der Bankreihe rundherum, den Tischen und Stühlen war berstend voll. Vor lauter Lärm und Stimmengewirr konnte keiner sein eigenes Wort verstehen. Teresa und Markus erwischten einen freien Platz am Fenster und bestellten Frittatensuppe und Krenfleisch beim Schankmädchen, das bald darauf mit dem Gewünschten an ihren Tisch kam. Teresa genoss die Stimmung im Raum. Nach den Wochen der Einsamkeit in der Wüste und in den Bergen kam es ihr vor, als sei sie in den heimeligen, warmen Sumpf der Menschen zurückgekehrt.
»Ob wir wohl einmal zusammenleben werden?«, fragte sie unvermittelt.
»Was sagst du?«
»Ach nichts«, meinte sie und aß weiter.
Den Nachmittag verbrachten sie in der Stadt, die sie mit immer neuen Eindrücken überraschte. Im Stephansdom, einer Kathedrale von riesigen Ausmaßen, betete Teresa ein Vaterunser.
»Lass uns glücklich heimkommen, lieber Gott, Maria und alle Heiligen«, fügte sie leise hinzu. »Lass mich diese Reise, diese Wallfahrt als das nehmen, was sie war: eine Strecke auf dem Weg zur Wahrheit, zu dir, Gott, und zur Liebe.«
Am frühen Morgen brachen sie nach Krems auf. Die Pferde waren ausgeruht und versorgt, die Wäsche war getrocknet und geplättet.Ein klarer, warmer Aprilmorgen spannte sich über der Stadt. Schweine rannten quiekend durch die Gassen, ein Haufen fröhlicher Kinder hinterher. In den kleinen Gärten blühten Primeln und Traubenhyazinthen. Als sie aus dem Stadttor hinausritten, zeigte sich in den Bäumen das erste helle Grün. Die weite Flussebene lag vor ihnen. Im Wienerwald brach aus einem Gebüsch ein Wildschwein. Teresas heftig klopfendes Herz beruhigte sich bald wieder, nachdem alles ruhig geblieben war. Sie sah Myriaden von weißen Anemonen auf dem Waldboden und dachte an ihre Streifzüge im Donautal, viele Meilen entfernt von hier. Welche Ruhe und welchen inneren Frieden sie empfand, wenn sie auf den Bandfelsen stieg, unter den alten Buchen die filigranen blauen Kelche der Leberblümchen, über sich eine krächzende Dohle, die zu ihrem Brutplatz flog. Nein, sie hätte nicht fortgehen müssen, um diese Ruhe zu finden, aber sie musste fortgehen, weil etwas in ihr sie dazu gezwungen hatte. Sie begann ein Gespräch mit Markus.
»In einer oder zwei Wochen, etwa Anfang Mai, werden wir zurück sein. Was glaubst du, erwartet uns dort?«
»Ich weiß es nicht, Teresa. Das Gesinde auf Burg Wildenberg wird dich sehnlich zurückerwarten. Jemand muss dort die Geschäfte in die Hand nehmen. Und die Chronik wartet auf dich.«
»Wie ist es bei dir?«
»Der Abt wird sich wundern, wie lange ich ausgeblieben bin. Ursprünglich wollte ich ja eine viel kürzere Wallfahrt machen – angeblich. Ich werde ihm erzählen, dass ich mir eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela auferlegt hätte, als Buße für meine sündigen Gedanken und Taten. Mittendrin hätte ich umkehren müssen, wegen eines Ereignisses, über das ich dann schweigen wollte.«
»Das ist nicht einmal gelogen«, meinte Teresa und lachte. »Werden wir uns wiedersehen, wenn du wieder im Kloster bist?« Sie hoffte, er würde sagen, dass er aus dem Orden austrete. Er hielt sein Pferd an und blickte ihr geradewegs in die Augen.
»Teresa, ich muss es dir sagen.« Ihr Herz machte einen Sprung.»Ich liebe dich mehr, als ich je ein menschliches Wesen geliebt habe.« Seine Augen waren feucht. »Aber diese Reise hat mir gezeigt, dass das weltliche Leben nichts für mich ist. Es war eine Sünde, die Menora finden zu wollen. Und ich werde beten und arbeiten und Buße tun bis zum Rest meines Lebens.«
»Ich finde nicht, dass es falsch war«, erwiderte sie. »Wir haben sehr viel erfahren und gelernt. Ich habe gelernt, dass es wichtigere Dinge gibt als Besitz und Macht, ja selbst als den Drang nach Erkenntnis.
Weitere Kostenlose Bücher