Die Pilgerin von Montserrat
brauchen sichere Hinweise. Bis jetzt wissen wir nur, dass ein Pergament gestohlen wurde und dass wir offensichtlich von zwei Reitern verfolgt werden.«
»Das beweist doch, dass es da etwas gibt, etwas, das wir nicht erkennen können und das keiner aus dem Kloster erkennen kann, auch der Bibliothekar nicht.«
»Vielleicht kann uns der Gehilfe etwas sagen. Wie war noch sein Name?«
»Markus Schenk«, beeilte sich Teresa zu sagen.
»Markus Schenk wird uns möglicherweise weiterhelfen können. Nach dem Mittagessen werden wir ihn mal zur Seite nehmen.«
Der Gedanke daran war Teresa angenehm. In der Gegenwart des Bibliothekars dagegen hatte sie eine düstere Beklemmung gespürt.
Sie wanderten noch eine Weile auf dem Weg dahin, der sich auf halber Höhe dahinzog. Er war von Brombeergebüsch und verblühten Heideröschen eingerahmt und gab immer wieder den Blick ins Tal frei. So hätte Teresa immer weiter wandern können, bis sie in Santiago angekommen wäre. Und bis sie wusste, wohin sie ihr Weg im Leben führen sollte. Ach, dieses Ziel würde sie niemals erreichen, schon gar nicht allein. Was war ihre Bestimmung?
Eine dunkle Wolke schob sich vor die Sonne, und Teresa fröstelte. Eine Dohle schrie hoch über ihrem Kopf .
»Lass uns umkehren«, bat sie ihren Vater.
»Hast du schon genug vom Wandern? War es nicht dein Traum gewesen, einmal nach Santiago de Compostela zu pilgern?«
»Ja, das war ein Traum von mir und ist es immer noch. Aber die Zeit ist noch nicht gekommen.«
»Ich würde dich auch niemals allein ziehen lassen.«
Da war es wieder. Warum konnte sie nicht allein in die Welt ziehen, wohin es ihr beliebte? Männer konnten das. Männer durften so viel tun, was ihr versagt blieb. Manchmal war sie voller Neid auf sie.
Sie kehrten durch eine andere Pforte in der Klostermauer zurück und überquerten den kleinen Friedhof mit seinen Eisenkreuzen. Eine Eiche stand dort mit einer Steinbank darunter, die aus drei mächtigen Klötzen zusammengebaut war. Teresa bemerkte eine Art Rundbogen in der Mauer, wie ein zugemauertes Tor.
»Was mag das wohl gewesen sein?«, fragte sie ihren Vater.
»Es war gewiss ein weiteres Tor, das nicht mehr gebraucht wurde.«
Die Kirchenglocke schlug zwölfmal. Sie würden gerade recht zum Mittagessen kommen.
5.
Der Saal war mit prächtigen Säulen, Kapitellen und Fresken ausgestattet, die Fenster waren mit bunten Glasmalereien geschmückt. In jeder Ecke stand ein Schutzheiliger, aus rotem Sandstein gehauen. Einige Mönche saßen schon im Refektorium, wo sie zusammen mit den Gästen des Klosters und dem Abt zu speisen pflegten. Der Abt war jedoch für einige Tage außer Haus, wie Teresa erfahren hatte. Die Novizen und die Arbeiter, die von draußen kamen, aßen miteinander in einem anderen Raum. Außer dem leisen Klappern von Löffeln war nichts zu hören.
Allmählich füllte sich der Saal. Teresa sah Alexius und Markus, den Bibliotheksgehilfen. Er nickte kaum merklich in ihre Richtung. Auf einer Steinbank in einer Wandnische saß der Vorbeter und las einen Psalm. Die Tür von der Küche her öffnete sich. Herein kamen vier Mönche, die einen großen Eisentopf trugen, aus dem es kräftig dampfte. Die Mönche nahmen ihre Teller in die Hand, standen einer nach dem anderen auf, was zu einem allgemeinen Stuhlrücken führte, und stellten sich in einer Reihe an, um sich von den Küchengehilfen Maultaschen und Brühe schöpfen zu lassen.
Bald waren auch Froben und Teresa an der Reihe. Sie erinnerte sich an die Worte ihrer Mutter, dass die Maultasche im Kloster Maulbronn erfunden worden war. Während der Fastenzeit bekamen die Mönche ein großes Stück Fleisch geschenkt. Da sie es nicht verderben lassen wollten, hackten sie es in kleine Stücke, mischten Petersilie und Spinat darunter, damit es wie eine Fastenspeise aussah, und wickelten es schließlich in einen Nudelteig, auf dass der Herrgott ihren kleinen Betrug nicht bemerkte.
Einen Moment lang sehnte sich Teresa zurück auf die väterliche Burg, wo sie so oft zusammen mit der Köchin Ursula diese Nudelfleckenzubereitet hatte. Während des Essens bemerkte sie, dass ihr Markus verstohlene Blicke zuwarf. Er war ja vom Bibliothekar, nein vom Abt höchst selbst dazu abgeordnet worden, sie beide zu begleiten. Als Teresa sich nach dem Abschlussgebet zusammen mit Froben dem Ausgang zuschob, fühlte sie sich am Ärmel ihrer Kutte gefasst.
»Geht mit Eurem Vater zum Friedhof, dort können wir ungestört sprechen«, raunte Markus ihr zu.
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