Die Pilgerin von Montserrat
stehen. Er war von untersetzter Gestalt, das Gesicht, das er nach dem Zurückschlagen der Kapuze zeigte, ein wenig gerötet und aufgeschwemmt, die Nase breit und die Lippen fleischig. Eine Mengelockiger, schwarzer Haare fiel ihm ins Gesicht mit den scharfen Augen. Er holte feierlich eine schwarze Kerze aus seinem Mantel, entzündete sie an einer anderen und stellte sie in die Mitte des Kreises. Dort blieb er stehen und begann: »Wir haben uns heute versammelt, um unsere Mitternachtsmesse zu feiern.«
Das war die Stimme von Alexius Furer, dem früheren Bibliothekar und jetzigen Abt des Klosters!
»Wir werden sie – wie üblich – in der deutschen Sprache abhalten, damit auch diejenigen, die neu zu uns gekommen sind, ihr folgen können. Lasst uns beten!«
Die Anwesenden falteten die Hände und wiederholten jeden Satz, den der Abt sprach.
Amen.
Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Erlöse uns von dem Bösen und führe uns nicht in Versuchung.
Vergib uns unsere Schuld.
Unser täglich Brot gib uns heute.
Dein Wille geschehe im Himmel und auf Erden.
Dein Reich komme.
Geheiligt werde dein Name.
Vaterunser im Himmel.
Da stimmte doch etwas nicht, das Vaterunser klang so befremdlich. Sie sagten es rückwärts auf!
»In Anbetracht der Tatsache, dass unser Großmeister Jacques de Molay sein Geständnis widerrufen und unsere Sache damit zu einer unsterblichen gemacht hat, rufe ich euch dazu auf, nicht zu ruhen, bis unser Heiliger Besitz, die Menora, gefunden und in die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem zurückgebracht worden ist. Von dort werden sie unsere Brüder zum Heiligen Berg Alamut führen, wo sie im Garten Eden aufgestellt und bis ans Ende aller Tage bleiben soll. Schwört ihr, dass ihr diesen Plan, den der große Allah, und Mohammed ist sein Prophet, auferlegt hat, verfolgen und zu Ende führen werdet?«
Die Männer hoben ihre rechte Hand.
»Wir schwören«, murmelten sie wie mit einer Stimme.
»Seid ihr bereit, auch euer Leben dafür hinzugeben?«
»Wir sind bereit«, sagten die Männer.
Ein Luftzug ging durch die Kirche, die Kerzen flackerten. Ein weiterer Mann war durch die Tür hereingekommen. Er trug ein Kohlebecken in der Hand, aus dem Rauch hervordampfte. Ob das Werner von Wildenberg war, ihr Onkel aus Peterszell, der sich widerrechtlich ihren Besitz angeeignet hatte? Im nächsten Moment erfuhr sie es.
Der Eingetretene erhob seine Stimme: »Gegrüßt seist du mir, Alexius Furer, Abt und Großmeister unserer Gemeinschaft!«, sagte ihr Onkel. »Gegrüßt seid ihr mir alle. Ich bringe euch das, wonach ein jeder von euch hungert und dürstet, die ewige Wahrheit und die Erleuchtung.«
Ihr Onkel durchschritt mit hallenden Schritten das Schiff und stellte das Kohlebecken in die Mitte des Kreises. Das hatte Teresa schon einmal gesehen, hier, an derselben Stelle. Sie hielt den Atem an. Wenn sie jetzt bloß nicht husten oder niesen musste, es kribbelte verdächtig in ihrer Nase. Die Nähe von Markus gab ihr Kraft. Was wollten diese Männer zelebrieren? Teresa hatte schon von Teufelsmessen und Schwarzer Magie gehört, von der Verkehrung christlicher Messen in ihr Gegenteil, mit Blutopfern, Verhöhnung und Bespucken des Kreuzes und anderen Scheußlichkeiten, bei denen jedem Christenmenschen das Blut in die Wangen getrieben wurde. Aber das, was sie damals gesehen hatte, entsprach nicht diesen Vorstellungen. Verstand sich diese Gruppe als Nachfolger der Templer und der Assassinen? Würden sie die Praktiken, die Jacques de Molay und seinen Anhängern vorgeworfen wurden, anwenden? Bei dem Gedanken wurde ihr heiß. Wie damals begannen die Männer nun arabische Lieder zu singen und sich auf den Boden zu werfen. Alexius Furer gab getrocknete Blätter in das Kohlebecken. Wieder stieg der süßliche Geruch auf, den Teresa so gut kannte. Der Gesang verstummte, und die Männer nahmen erneut eine hockende Stellung ein.
»Merkt nun auf«, sagte Alexius Furer in salbungsvollem Ton. »Heute führen wir ein weiteres Mitglied in unsere Gemeinschaft ein. Hier ist Martin Rümelin, ein hervorragender Schüler unserer Lateinschule. Er möchte aus eigenem Wunsch unserem Orden beitreten.«
Aus dem Kreis erhob sich ein schmächtiger, etwa zwölfjähriger Junge, dem die Locken wild ins Gesicht fielen und der ängstlich um sich schaute. Teresa meinte, ihn schon in der Lateinschule gesehen zu haben. Furer reichte ihm einen Becher, der dampfend in der Kohlepfanne stand.
»Bist du bereit, uns zu dienen
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