Die Pilgerin von Montserrat
Kirche, zu der sie durch eine Vorhalle gelangten. Er öffnete das Portal. Der hohe, streng gegliederte Innenraum mit seinem Geruch nach Kerzen und Weihrauch gemahnte Teresa an die Gottesdienste, die sie in der letzten Zeit versäumt hatte. Sie meinte, ferne Männerstimmen Choräle singen zu hören.
Matthias sagte leise, nachdem er sich nach allen Seiten umgesehen hatte: »Versteckt euch in einem der Beichtstühle, aber erst dann, wenn die Glocke zwölf schlägt. Vorher könnt ihr noch nach draußen gehen, wenn euch die Zeit zu lang wird. Aber … pscht …«Er legte den Finger auf die Lippen. »Ich bleibe in der Nähe. Sagt mir Bescheid, wenn ich die Hakenschützen zur Hilfe holen soll.«
Mit diesen Worten wandte er sich um und ging hinaus. Teresa versuchte sich in dem dunklen Raum zurechtzufinden. Vor dem vergoldeten Hochaltar brannten Kerzen, die tanzende Schatten an die Wände warfen. Wie sollten sie die Zeit bis Mitternacht verbringen? Sie konnten sich doch nicht stundenlang eng nebeneinander in diesem Beichtstuhl aufhalten. Das heißt, sie konnten es schon, der Gedanke erregte sie sogar sehr. Aber würde Markus sie nicht wieder zurückweisen? Um der Verlockung aus dem Weg zu gehen, schritt sie gemessen zum Altar hinüber, kniete sich auf den Teppich davor und wollte anfangen zu beten. Doch in ihrem Kopf war es leer wie in einer Schüssel nach dem Mittagsmahl. Hilfesuchend wandte sie sich an Markus, der versunken vor einem Seitenaltar kniete.
»Kennst du den Psalm 94?«, fragte er.
Diesen hatte Teresa oft in ihrer heimatlichen Burgkapelle gehört, insbesondere dann, wenn ihr Vater, von der Erinnerung an seine Frau überwältigt, den Pfarrer um die Verlesung dieses Psalms gebeten hatte. Bruchstücke davon fielen ihr ein, sie faltete die Hände.
Wer wird für mich aufstehen gegen die Übeltäter? Wer wird fürmich auftreten gegen die, die Böses tun?
Wäre der Herr mir nicht eine Hilfe gewesen,
so hätte wenig gefehlt, und meine Seele hätte im Schweigen
gelegen.
Während sie die Worte sprach, kam eine große Müdigkeit über sie. Ihre Lider wurden schwer, ihr Kopf sank nieder. Der Choral der Mönche tönte in ihren Ohren. Das Kerzenlicht wurde heller, bewegte sich auf sie zu. Sie betrat einen Keller, aus dem es geheimnisvoll leuchtete. Die Menora stand auf einem Podest, das mit rotem Samt bedeckt war. Sie war aus massivem Gold, mit Blumen, Ranken, Ringen und Riffeln verziert. Wie eine Perlenschnur legte sich eine Kette um ihren Schaft. Der Sockel war bedeckt mit Tiermenschen, heidnischen oder ägyptischen Gottheiten. Auf dem knaufartigenEnde der sieben Arme brannten hohe Kerzen aus Bienenwachs, die einen herbsüßen Duft verströmten.
Endlich hatte Teresa den Leuchter gefunden, endlich hatte sie ihren Frieden gefunden. Sie ging mit ausgebreiteten Händen auf die Menora zu. Doch je näher sie ihr kam, desto mehr entschwand das schöne Bild. Der Leuchter begann zu brennen, verwandelte sich in eine feurige Schlange, in viele Schlangen, aus deren schmalen Köpfen Feuer sprühte. Das Gold schmolz, zerrann, tropfte auf den Boden, wurde zu schwarzrotem Blut. Die Kerzen neigten sich und fielen herab. Aus den Armen formten sich menschliche Gliedmaßen, Arme, Hände einer Frau und eines Mannes, der Kopf bildete sich heraus, wie ein Ziegenbock sah er aus. Vor sich, zwischen seinen Schenkeln, trug er einen Stab, der senkrecht in die Höhe stand. Das Wesen begann zu ächzen und zu stöhnen. Die Augen traten aus den Höhlen. Die Arme begannen nach Teresa zu greifen, sie an sich zu ziehen. Immer grässlicher wurde das Schnauben und Ächzen des Tiermenschen. Er kam näher und näher – schon konnte sie seinen heißen, stinkenden Atem riechen.
Mit einem Schrei wachte Teresa auf. Sie lag auf dem Teppich vor dem Altar, Markus kniete neben ihr und schaute ihr besorgt ins Gesicht. Eine Kirchturmuhr schlug dreimal, dumpf und dröhnend.
»Du hast geträumt«, sagte Markus. »Und jetzt ist es eine Viertelstunde vor Mitternacht. Die Messe wird gleich beginnen. Komm schnell in den Beichtstuhl!«
Kaum waren sie in dem engen Verschlag angekommen und hatten sich dort so eingerichtet, dass sie durch einen Vorhang das Geschehen in der Kirche beobachten konnten, schwang die Tür auf. Nacheinander betraten etwa zwanzig Männer den Raum, von denen einige in schwarze, andere in weiße Gewänder gehüllt waren, auf denen Teresa deutlich das rote Tatzenkreuz abgebildet sah. Sie setzten sich in einen Kreis um den Altar, nur einer blieb
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