Die Pilgerin von Montserrat
gerade uns beide vorschlägt, dachte Teresa, wir sind doch gar nicht mit den Gepflogenheiten des Klosters vertraut.
»Euer Ansinnen ist mir … ist uns eine Ehre«, antwortete Froben. »Aber wir sind mit den Gepflogenheiten des Klosters nicht vertraut.«
»Gerade deshalb habe ich Euch ausgesucht. Jemand, der von außen hereinkommt, sieht und hört mehr als diejenigen, die schon lange hier leben und deren Sinne durch die Gleichförmigkeit ihrer Tage abgestumpft sind.«
»Als eine, deren Auftrag es sein soll, die Umstände dieses mysteriösen Todes aufzuklären, ist mir sicher erlaubt, das Wort zu ergreifen«, sagte Teresa. »Wie denkt Ihr, Hochwürdigster Herr Stellvertreter des Abtes, sollen wir dabei vorgehen?«
»Ihr werdet von allen Gottesdiensten befreit, könnt Euch in den Gebäuden und im Gelände umschauen und die Bewohner der umliegenden Dörfer befragen. Wenn Ihr Auskünfte braucht, stehe ich jederzeit zu Eurer Verfügung. Ihr findet mich in der Wohnung des Abtes, die ab sofort bis zum Ausgang der Wahl mein Dienstsitz sein wird.«
Wo sollten sie sich dann treffen, um die Chronik zu Ende zu lesen? Ihr Vater warf ihr einen Blick zu.
»Wir brauchen einen Raum außerhalb unserer Zellen, in dem wir unsere Nachforschungen anstellen können«, sagte Froben.
»Die Bibliothek steht zu Eurer Verfügung. Für Eure Gespräche und Studien dürft Ihr die Sakristei in der Kirche benutzen. Außerdem stelle ich Euch Ambrosius und dessen Hilfskraft Matthias zur Seite. Ich werde dafür sorgen, dass dort an jedem Tag, an dem es kälter ist als am heutigen, ein Feuer entzündet wird. Und jetzt lasst uns diese Stunde mit dem 23. Psalm beschließen.«
Die gemurmelten, wohlbekannten Worte gingen an Teresas Ohren vorbei. Nur einen Satz nahm sie wirklich wahr: »Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.«
9.
Es war acht Uhr, Zeit für die Mönche, sich zur Nachtruhe zu begeben. Teresa und Froben machten sich zusammen mit Markus auf den Weg in die Sakristei. Der Holzsarg mit dem toten Abt wurde hereingetragen und vor dem Altar abgestellt. Die Sakristei war ein schmuckloser, dunkel getäfelter Raum mit einer Truhe, in der die Messgewänder aufbewahrt wurden. Auf einem Holzbrett an der Wand standen Kelche, Tabernakel und Monstranzen, Dinge, die für den Gottesdienst benötigt wurden.
»Bevor wir uns weiter mit der Chronik von Friedrich beschäftigen, sollten wir uns den Leichnam einmal genauer ansehen«, schlug Markus vor.
Teresa erschrak. Sie hatte schon Tote gesehen, ihre Mutter und den Torwächter Wilhelm, aber keiner war so verunstaltet gewesen wie der Abt.
»Ich bin dabei«, sagte sie mit fester Stimme, obwohl sie fürchtete, ihr könne dabei übel werden.
Markus öffnete die Tür zur Kirche. Die Sargträger waren inzwischen verschwunden. Neben dem Toten brannten zwei Opferkerzen; der Körper war über und über mit Tannen- und Stechpalmzweigen bedeckt. Markus trat an den Sarg heran und entfernte das Grün von der Brust des Abtes. Teresa und Froben traten auf die andere Seite. Markus löste die Bänder, die das Totenhemd zusammenhielten. Die kaum behaarte Brust kam zum Vorschein. Die Haut war schrumpelig, vom kochenden Wasser verbrüht. In der Höhe des Herzens erkannte Teresa ein klaffendes Loch.
»Seht ihr! Diese Wunde muss von einer Stichwaffe herrühren«, sagte Markus aufgeregt. »Abt Hieronymus wurde an einem anderen Ort getötet und später in die Küche gebracht.«
»Aber warum?«, presste Teresa hervor. »Was hat er getan? Hat er eine solch furchtbare Strafe verdient?«
»Um das herauszubekommen, sind wir angetreten, liebe Freundin«, antwortete Markus.
»Liebe Freundin« hatte er sie genannt. War sie das, oder wollte sie es gerne sein? Sie schob den Gedanken schnell beiseite. Schließlich wollten sie ein Verbrechen aufklären, und möglicherweise war ihrer aller Leben in Gefahr.
Ein Geräusch an der Tür ließ Teresa herumfahren. Alexius betrat das Schiff und kam mit langsamen Schritten auf sie zu. Als er bei ihnen angekommen war, betrachtete er den Einstich in der Brust des Abtes.
»Habt Ihr Euch von der Todesursache überzeugen wollen?«, fragte er in gütigem Ton. »Der Infirmarius hat den Leichnam selbstverständlich untersucht und kommt zum gleichen Ergebnis wie ihr: Hieronymus wurde erstochen und später in die Küche gebracht.« Er wandte sich an Markus. »Was schließt du nun daraus?«
»Bis jetzt können
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