Die Pilgerin von Montserrat
sie an der Schulter. Sie blickte auf. Markus schaute sie besorgt an.
»Es wird ernst, scheint mir«, sagte er und half ihr auf die Beine.
»Wie kann so etwas nur passieren?«, schluchzte sie.
Er streichelte ihr aufgelöstes Haar.
»Wir werden es herausfinden«, sagte er leise. Er reichte ihr ein Tuch, damit sie sich die Tränen abwischen konnte. Die Reste des Erbrochenen wusch sie im Brunnenhaus ab. Sie gingen Seite an Seite in die Küche zurück. Der Bibliothekar Alexius gab Anordnungen, was mit der Leiche zu geschehen habe.
»Heute Abend werde ich eine Versammlung im Kapitelsaal einberufen«, sagte er mit undurchdringlicher Miene.
Teresa schaute ihn an. »Nur eine Frage beantwortet mir im Voraus: Der Abt Hieronymus war doch auf einer Reise nach Konstanz, zum Bischof, um Fürbitte nach Geld für unser Kloster zu leisten. Wie in aller Welt ist er hierher zurückgekommen? Und hat jemand von Euch ihn in der Küche gesehen? Oder vielleicht jemand anderen, der hier nicht hergehörte?«
Alle verneinten die Fragen. Es müsse während des Mittagessens geschehen sein, warf Ambrosius ein, da war niemand in der Küche gewesen. Alexius sank auf die Knie und forderte sie auf, das Gleiche zu tun. Er faltete die Hände und sprach ein Gebet.
»Du selbst, o Herr, lass die Seelen deiner entschlafenen Diener am Orte des Lichts, der Wonne und der Erquickung ruhen, wo aller Schmerz, alle Trübsal und alle Klagen entfliehen, wo die Anwesenheit deines Angesichts alle Heiligen erfreut. Amen.«
Mit diesen Worten erhob er sich und verließ den Ort des Grauens. Fassungslos blieb Teresa mit den anderen zurück.
»Ihr geht am besten auf Euer Zimmer, Teresa«, meinte Ambrosius. »Und du, Matthias, hilfst mir, die Küche zu reinigen. Doch zunächst werde ich den Infirmarius holen, damit er den Toten versorgt.«
Teresa verließ mit Markus den Raum. Sie hatte das Gefühl, auf einem schwammigen Boden zu gehen, der bei jedem Schritt wankte. Vor ihrer Zelle wartete ihr Vater auf sie.
»Ich habe gehört, was geschehen ist«, sagte er und schloss sie in die Arme. »Markus, Ihr könnt uns jetzt allein lassen.«
Trotz ihrer Benommenheit sah Teresa, dass Markus ihr einen bedauernden Blick zuwarf.
»Wir sehen uns im Kapitelsaal heute Abend«, meinte er. »Alexius hat ausdrücklich angeordnet, dass Ihr dabei sein sollt, als Zeugin des Geschehens.«
Er entfernte sich in Richtung Bibliothek. Froben führte seine Tochter in ihre Zelle und drückte sie sanft aufs Bett.
»Du brauchst mich nicht zu behandeln wie ein rohes Ei«, begehrte sie auf. »Ich bin nicht krank, ich war nur erschüttert über das, was ich gesehen habe.«
»Dinge passieren in der Welt, die sich meine Gelehrsamkeit nie träumen ließ«, antwortete ihr Vater. »Und Gott lässt es zu.«
»Es war nicht Gott, sondern der Teufel, der ein solches Verbrechen geschehen ließ«, stellte Teresa fest. »Ich glaube fest daran, dass es mit dem Pergament zu tun hat.«
»Das herauszufinden wird nicht unsere Sache sein, sondern die des Librarius, er ist schließlich Stellvertreter des Abtes«, wandte ihr Vater ein.
»Aber ein paar Überlegungen könnten wir schon anstellen. Der Abt Hieronymus begab sich schon vor unserer Ankunft auf eine Reise nach Konstanz, wahrscheinlich mit zwei, drei Mönchen im Gefolge und unbewaffnet. Er wollte den Bischof um Geld für das Kloster bitten. Möglicherweise hatte er ihm noch etwas anderes mitzuteilen, was verhindert werden sollte.«
Teresa hatte inzwischen ihre Fassung wiedererlangt. Sie erhob sich von dem Bett.
Ihr Vater sagte: »Wir sollten uns unter den Mönchen umhören – vielleicht hat jemand etwas gehört oder gesehen. Im Parlatorium dürfen sie ja miteinander sprechen.«
»Es hält sich keiner so richtig an diese Regel«, setzte Teresa dagegen. »Markus hat es mir erzählt. Der Mensch ist dazu geboren, um mit anderen zu reden, meint er.«
»Besonders mit dir, Teresa.«
Sie sah ihn erstaunt an. War er etwa eifersüchtig?
»Er behandelt mich so, wie man einen Gast eben behandelt«, sagte sie achselzuckend.
Sie sprachen vorsichtig, leise und unter vorgehaltener Hand mit einigen Mönchen, fragten in der Landwirtschaft, in der Bäckerei und in der Großmeisterei. Niemand hatte weder etwas gehört noch gesehen oder eine Vorstellung davon, wer den Abt ermordet haben konnte. Schließlich kamen sie zum Lehrer der Lateinschule. Er saß allein in der Schulstube am Pult und korrigierte Arbeiten seiner Schüler auf Tontafeln. Neben ihm auf dem Pult
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