Die Pilgerin von Montserrat
als die Christen, die anderen ans Leben gingen und ihren Besitz raubten, aber dennoch wurden wir vertrieben. Und das, obwohl die Könige immer unser Geld genommen haben. Wie oft mussten wir uns die Freiheit, den Abzug an die Grenzen eines Landes, die Erlaubnis, einen Raum als Synagoge zu nutzen und uns unsere Friedhöfe zu belassen, teuer erkaufen!«
Monsieur Berr schlug die Augen nieder und legte die Hände übereinander.
»Glauben wir denn nicht alle an denselben, den einen Gott?«, fragte er mit leiser Stimme.
»Bisher habe ich mich mit der jüdischen Religion wenig beschäftigt«, meinte Froben »Aber ich habe schon immer gedacht, dass es die Menschen sind, die einen Keil zwischen sich und ihre Brüder getrieben haben.«
Die Reise nach Santiago de Compostela, die Suche nach der Wahrheit, nach sich selbst, nach dem innersten Kern, der allen gemeinsam ist, war das Gott?
»Wir suchen nach geistiger Erleuchtung, nach Einsicht und Lebensfreude«, sagte Monsieur Berr. »Wir versuchen, ein Licht imDunkeln anzuzünden, wollen uns entfalten, entwickeln und wachsen – zu Jahwe hin, zu Gott.«
»Das wollen wir auch«, sagte Teresa. Sie war aufgewühlt.
»Es gibt keine absolute Wahrheit«, fuhr Berr fort. »Der eine Pfad führt nur deswegen zum Ziel, weil es auch andere Pfade gibt.«
Im Nebenraum polterte es, als wäre ein Gegenstand zu Boden gefallen. Eine rundliche, grauhaarige Frau erschien, offensichtlich die Ehefrau des Händlers.
»David, was machst du da?«, rief sie. »Wie kannst du die Fremden in ein Gespräch über unsere Religion verwickeln, wo das doch verboten ist? Sie wollten Pilgerkleidung von uns kaufen, also gib sie ihnen und wünsche ihnen eine gute Reise!«
Monsieur Berr war bei den Worten seiner Frau zusammengezuckt. »Du hast ja recht, Sara«, meinte er. »Aber müssen wir nicht irgendwann einmal beginnen, miteinander zu reden?«
»Von uns droht Euch keinerlei Gefahr, Madam Berr«, sagte Froben. »Es war uns eine Ehre, uns mit Monsieur über Gott und die Welt auszutauschen. Nicht wahr, ihr beiden?«
Markus und Teresa stimmten ihm zu. Monsieur Berr händigte ihnen die Kleidungsstücke und die anderen Utensilien aus, Pilgerhandtaschen, Kalebassen, ausgehöhlte Kürbisse, Pilgerhüte und einen Schleier für Teresa sowie feste Stiefel und ein Töpfchen mit Salbe für die vom Reiten wundgeriebenen Stellen. Die Grundlage dafür sei Fett, Kollodium und Weidenrinde, sagte Berr. Froben zog sein Säckchen mit den Golddukaten heraus und zahlte.
Monsieur Barr hatte ihnen einen anständigen Preis gemacht, und dabei wurde immer gemunkelt, die Juden würden Wucherpreise nehmen.
»Auf Wiedersehen, meine Brüder und meine Schwester«, sagte Monsieur Berr zum Abschied und gab ihnen die Hand.
»Auf Wiedersehen, und Gottes Segen auf Euren Wegen«, erwiderte Froben.
Teresa lächelte Berr und seine Frau an. »Ich werde an Euch denken und für Euch beten«, meinte sie.
Beim Hinaustreten aus dem Laden blendete sie die Mittagssonne, die noch ziemlich hoch am Himmel stand.
Der eine Pfad führte nur deswegen zum Ziel, weil es auch andere Pfade gab.
Es war, wie in eine andere Welt zu gehen.
Sie holten die Pferde, verpackten die Pilgerkleidung und gingen zurück durch die Gasse, über den Marktplatz. Der Platz war wie leergefegt, nur einzelne Obst- und Gemüseabfälle zeugten davon, dass hier kurz zuvor noch Leben gewesen war. Teresa blickte zur Kirche hinüber. Aus dem Portal trat eine hochgewachsene Frau, mit einem schwarzen Mantel und einer Haube bekleidet. An der Hand hielt sie einen blonden Jungen. Er trug die graue Tracht der Lateinschüler. Die Frau blickte sich suchend um, dann wandte sie sich zur Breitseite der Kirche. Bevor die beiden um die Ecke verschwanden, drehte sich der Junge noch einmal um und lächelte Teresa zu. Sie rieb sich die Augen. Matthias – war er es oder nicht? Aber das konnte nicht sein. Matthias war im Schwarzen Wald, er half Ambrosius in der Küche aus und ging im Kloster zur Schule. Seine Mutter war eine Bäuerin aus einem Dorf der Umgebung.
Die beiden Gestalten waren verschwunden. Ob Froben und Markus etwas bemerkt hatten? Nein, sie gingen unbekümmert weiter, als wäre nichts geschehen. Ob sie es ihnen sagen sollte? Doch dann wurde sie wieder ausgelacht, weil sie Dinge sah, die nicht da waren. Der Tag in Peterszell fiel ihr ein, als sie den Jungen schon einmal gesehen hatte. Da waren am Abend die Reiter gekommen und hatten ihr im Vorbeigaloppieren das Haar abgeschnitten.
Es
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