Die Pilgerin von Montserrat
zu legen.
›Ich danke Euch im Namen Gottes und meiner toten Gisèle‹, waren seine letzten Worte. ›Sagt niemandem ein Sterbenswörtchen über das, was hier heute Nacht geschehen ist. Ich werde Euch dafür reichlich entlohnen.‹
Damit setzte er sich auf den Kutschbock, trieb die beiden Pferde an und verschwand hinter einer Ecke. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Einen Augenblick lang glaubte ich, eine Bewegung der Hand des Toten zu sehen, aber das war sicher meinen überreizten Sinnen zuzuschreiben. Ich blinzelte: Albrecht lag regungslos in seinem Blut und in dem so vieler anderer. Ich ging mit dem Kind hinaus, suchte nach Gottfried von Bouillon, und als ich ihn gefunden hatte, umgeben von einer schlaftrunkenen Schar seiner Männer, übergab ich ihm das Kind und bat darum, einen Heilkundigen in den Felsendom zu schicken.
Die erschütternden Ereignisse habe ich aufgeschrieben, da sie mein Gewissen zu sehr belasteten und ich seitdem keine Nacht mehr schlafen konnte. Gott sei mit mir und mit allen anderen, immerdar, jetzt und in Ewigkeit. Amen.«
»So hat es sich also wirklich zugetragen«, sagte Froben mit einemSeufzen, nachdem Bruder Gabriel geendigt hatte. Seine Stimme klang belegt. »Was, Bruder Gabriel, sollen wir von einem Vorfahren halten, der die Nachwelt belügt und alles im Unklaren lässt?«
»Was ist Euch wirklich wichtig?«, fragte der Mönch zurück. »Die Wahrheit zu erfahren, zur Wahrheit zu gelangen, Eure Chronik zu schreiben oder den Kandelaber zu besitzen, der offensichtlich nicht nur für Euch so wichtig geworden ist?«
»Ich spreche von mir und auch im Namen meiner Tochter. Wir werden das Geheimnis, das unsere Familie betrifft, ergründen und für künftige Generationen aufschreiben.« Er hielt inne. »Für wen wollen wir es aufschreiben, wenn unsere Familie doch keine männlichen Nachkommen besitzt?«
»Es gibt doch den Spross in Peterszell«, warf Teresa ein. »Der ist sicher aus den Nachkommen dieses Kindes Gottfried entstanden.«
»Ich möchte Euch noch eine andere Version meines gelehrten Freundes aus Jerusalem eröffnen«, sagte Gabriel. »David Saloman ist zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei diesem Kandelaber nur um die Menora handeln kann, die vom Volk Israel vierzig Jahre lang durch die Wüste getragen wurde. Sie ist ein Symbol für das Leben und für Gott. Die Menora wurde im Jahr 70 nach Christi von den Römern aus dem ersten Tempel von Jerusalem geraubt und ist seitdem verschollen. Dieser siebenarmige Leuchter ist zum Symbol des Judentums geworden, und sowohl die Christen als auch die Muslimen als auch die sogenannten Heiden strebten aufs Heftigste nach ihrem Besitz.«
»Die Menora?«, rief Froben. »Das kann und darf nicht sein. Sie ist verschollen, niemand weiß, wo sie sich befindet.«
»Was nicht heißt, dass sie nicht wieder aufgetaucht sein könnte«, entgegnete Bruder Gabriel. »Heidnische Stämme aus dem Norden wie die Vandalen, die Goten und die Sarazenen aus Arabien haben seit dem Verschwinden der Menora Rom geplündert. So könnte sie möglicherweise in die arabischen Länder gelangt sein. Während des ersten Kreuzzuges wurde sie von Euren Vorfahren im Felsendom entdeckt, wie immer sie auch dorthin gelangt sein mag. Wie mirmein Freund aus Jerusalem mitteilte, ist es sogar möglich, dass die Assassinen sie besessen haben.«
»Die Anhänger des späteren ›Alten vom Berg‹?«, meinte Froben. »Die haben den Kreuzfahrern das Leben schwergemacht, wann immer sie konnten. Sie töteten mit Dolch und Gift im Namen ihres Anführers.«
»Der Bund der Assassinen wurde Ende des 11. Jahrhunderts, also zur Zeit des ersten Kreuzzuges, von Hassan, einem Schiiten, gegründet«, sagte der Mönch und strich sich über den grauen Bart. »Sie stellten sich den Kreuzfahrern nicht nur in den Weg, sie mordeten auch in ihrem Auftrag, für Gold. Sie wollten die ›Wahre Lehre‹ verbreiten und einen Gottesstaat errichten. Sie gaben ihr Leben hin, denn es war ihnen nichts wert. Zweihundert Jahre später, im Jahr 1256, wurden sie von den Mongolen vernichtet. Nach der Eroberung der Burg Alamut, bei der die ganze Bibliothek verbrannte, ließ der mongolische Statthalter Müägüd Khan, ein Enkel Tschingis Khans, zwölftausend Assassinen unter dem Vorwand der Registrierung zusammenkommen und ermorden, so wird gesagt. Gnade uns Gott, wenn einige überlebt und sich von neuem zusammengeschlossen hätten! Sie könnten versuchen, die Menora in ihren Besitz zu bringen. Nicht erst, seit
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