Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
sprechen, Alice. In einer ernsten Angelegenheit.« Er machte eine Pause, sah seine Tochter aber nicht an.
»Es dürfte dir nicht entgangen sein, dass sich hier sehr viel verändern wird. Genau genommen, ich habe mich entschlossen, mich den Kreuzfahrern anzuschließen und mit ihnen nach Jerusalem zu pilgern.«
Obwohl Alice sich vollkommen über die Entscheidung des Vaters im Klaren war, blieb ihr fast der Atem weg. Sie japste nach Luft. Irgendwie und insgeheim und gegen allen Anschein hatte sie noch die vage Hoffnung gehabt, es ginge um die Expedition nach Island, von der schon öfter die Rede gewesen war.
Umsonst … Alice holte sich in die Wirklichkeit zurück.
»Ich weiß schon alles, Vater. Ihr verkauft Euer Handelsunternehmen, in das Ihr all Eure Zeit und Kraft und Liebe gesteckt habt. Vater, Euer Leben liegt in diesen Mauern.«
»Meine Seele ist mir wichtiger als irdisches Gut.«
»Das glaube ich Euch nicht. Vielleicht, wenn es ans Sterben geht, kurz vor dem Tod. Das ist bei allen so. Aber doch nicht mitten im Leben.« Sie wurde rot vor innerer Anspannung.
»Alice, es steht dir nicht zu, so mit mir zu reden«, wies der Vater sie zurecht.
Doch Alice bemerkte, dass der tadelnde Ton nur dazu diente, Zeit zu gewinnen. Ein Lebenswerk vergeudet. Denn auch wenn er keinen Sohn hatte, so doch diese Tochter, die ihrerseits, dazu war er bisher fest entschlossen, einen reichen Kaufmannssohn heiraten würde, der das Handelshaus weiterführen würde.
Vergebens – verkauft – vergangen.
Alice fühlte, wie ihr Vater unsicher wurde. Seine Körperhaltung versteifte sich zwar, aber unbewusst stellte sie fest, dass er das Gewicht vom rechten Standbein auf das linke Bein verlagerte. Vielleicht war doch noch nicht alles unumstößlich geregelt, vielleicht konnte sie ihn von seinem Entschluss noch abbringen.
Sie rang sich dazu durch, weiterhin zu sagen, was sie nicht sagen durfte.
»Warum hört Ihr auf den Abt? Verzeiht, Vater, aber er ist doch nur Euer jüngerer Bruder.«
Das traf. Der Vater wurde bleich, hielt sich an seinem Pult fest und begann, für Alice vollkommen unerwartet, seinem Gram Luft zu verschaffen:
»Zehn Jahre jünger ist er. Er war der Kleine, der Nachzügler. Meine Mutter hatte sich noch ein Kind gewünscht, ein Mädchen. Nun, Daniel war kein Mädchen, aber wurde fast erzogen wie eines. Immer schön angezogen, ein Gesicht wie ein Engel – der Ausdruck kommt nicht von mir, sie, meine Mutter, nannte ihn so. Das Furchtbare für mich war, dass es stimmte. Man sieht es ihm ja auch heute noch an. Lernen musste er nicht viel, schon gar nichts Kaufmännisches, wozu er auch keine Lust hatte. Tanzen, Reiten, Schwimmen, stets in Bewegung. Es hat mich wahnsinnig gemacht, dass er immerzu auf Bäumen herumkletterte. Höher – immer höher, bis in die Krone hinein.
Deine Mutter übrigens auch. Obwohl sie ein Mädchen war. Immer hinauf in den Gipfel. Und da saßen sie zusammen am liebsten auf den Bäumen am Drei- Flüsse-Eck und schauten auf die dahinziehenden Ströme und auf uns herab.«
»Was, meine Mutter ist mit dem Abt auf Bäume geklettert?« Vor lauter Erstaunen brachte sie die Reihenfolge der Ereignisse durcheinander.
Der Vater lachte amüsiert. »Natürlich nicht. Damals war er natürlich kein Abt und niemand hätte erwartet, dass er jemals einer werden würde. Damals waren sie so elf, zwölf Jahre alt. Später wurde es ihr verboten, auf Bäume zu klettern. Er unterließ es dann auch. Einmal sagte er zu mir eher beiläufig, er fände ohne Felicitas kein Vergnügen mehr daran.«
Der Vater räusperte sich.
»Jedenfalls war er der Verhätschelte. Nun, er musste ja auch keine Verantwortung übernehmen und das Geschäft hier einmal leiten. Niemand wusste so recht, was aus ihm werden würde. Er selber träumte auch mehr in den Tag hinein. Irgendwann erklärte er, er wolle Rechtsgelehrter werden, Berater eines Fürsten. Es war sogar von einem Studium an den berühmten Pariser Schulen die Rede. Ich habe innerlich nur gelacht.«
»Und dieser Tunichtgut, dieser Leichtfuß, Euer Bruder, bestimmt über alles und zwingt Euch?«
Das hätte sie wohl nicht sagen dürfen.
»Ihr gebt Euer Leben auf«, hakte sie dennoch nach. »Bei Martin verstehe ich das, er hat hier nichts zu verlieren«, nur mich –, dachte sie für sich.
»Aber Ihr seid mit ganzer Seele Kaufmann. Vater, bleibt hier!«, flehte sie. »Vater, ich habe Angst um Euch.«
»Alice, es ist nutzlos, wenn du versuchst, mich abzuhalten. Der
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